Prof. Volker Wieland warnt vor Mitnahmeeffekten im Konjunkurpaket der Bundesregierung

Prof. Volker Wieland sieht das Konjunkturpaket der Bundesregierung als eine Sammlung vieler kleiner Einzelmaßnahmen. Ein bedeutender Teil werde aber bestenfalls nur Verschiebungen von Konsum- oder Investitionsausgaben auslösen und von Mitnahmeeffekten betroffen sein, warnte er. "Es wurde eine Chance vergeben, das Konjunkturpaket vom Umfang her auf einige zentrale Maßnahmen zu konzentrieren."

"130 Milliarden Euro, das sind 3,8 Prozent des deutsche Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2019. Vom Umfang her ist das ein sehr großes und substantielles Konjunkturpaket, mit dem die Bundesregierung die Konjunktur jetzt anstoßen will. Da haben sich die Koalitionspartner wirklich nicht lumpen lassen. Inbesondere auch wenn man berücksichtigt, dass der Staat bereits ein Volumen von 34 Prozent der Wirtschaftsleistung für eine Vielzahl von Stützungs- und Überbrückungsmaßnahmen mit dem Corona-Schutzschild bereitgestellt hat.

Das Paket kommt zur rechten Zeit, jetzt da die Corona-Beschränkungen bereits etwas gelockert wurden. Funktionieren kann das allerdings nur, wenn es tatsächlich jetzt mit den Lockerungen weitergeht. Um nur ein Beispiel zu nennen, derzeit ist etwa die Berufstätigkeit von Eltern mit Kindern im Kita-, Kindergarten- und Grundschulalter immer noch stark beeinträchtigt, denn sie verbringen weiterhin einen großen Teil der Zeit mit der Kinderbetreuung. In Nachbarländern wie Holland und Dänemark ist man da bereits weiter.

Das Konjunkturpaket ist jedoch sehr kleinteilig angelegt mit sehr vielen kleinen Einzelmaßnahmen. Davon sind viele gut und alle gut gemeint. Ein bedeutender Teil wird aber bestenfalls nur Verschiebungen von Konsum- oder Investitionsausgaben auslösen und von Mitnahmeeffekten betroffen sein. Es wurde eine Chance vergeben, das Konjunkturpaket vom Umfang her auf einige zentrale Maßnahmen zu konzentrieren. Ein Schwerpunkt hätte dabei darauf liegen können, die Rahmenbedingungen für Investitionen und Beschäftigung dauerhaft zu verbessern, zum Beispiel indem man den Solidaritätszuschlag komplett abschafft oder die Körperschaftssteuer senkt. Da geht es nicht um Superreiche, sondern um viele Unternehmen inklusive mittelständische Unternehmen, die als Personenunternehmen organisiert sind und insgesamt sowie im internationalen Vergleich eine hohe Steuerlast tragen. Der Sachverständigenrat hat dies bereits im Jahresgutachten 2019 angemahnt.

Positiv zu nennen ist, dass zumindest zwei mögliche größere Fehler vermieden wurden. Zum einen ist das eine Wiederholung der Abwrackprämie. Da haben ja auch viele Studien für Autokaufprämien in den USA und Europa während der Finanzkrise gezeigt, dass es lediglich eine Verschiebung der Ausgaben erzeugt, und wenn die Kaufprämien attraktiver für kleinere Fahrzeuge sind, sogar zu etwas geringeren Ausgaben für Fahrzeuge über einen mehrjährigen Zeitraum ingesamt führt. Zum Glück schlug auch der Versuch fehl, mit dem Argument Konjunktur die Altschulden von Gemeinden zu übernehmen. Das hätte nun gar nichts mit Konjunkturstimulierung zu tun und würde lediglich die Länder und Gemeinde belohnen, die in der Vergangenheit gerade nicht ordentlich gewirtschaftet haben.

Einzelne Maßnahmen

Herzstück soll eine vorübergehende Mehrwertsteuersenkung befristet bis 31.12.2020 von 19 auf 16 Prozent bzw. 7 auf 5 Prozent sein – ein Finanzbedarf von 20 Milliarden Euro.  Das ist eine klassische Konjunkturmaßnahme, die jedoch erfahrungsgemäß hauptsächlich einen Verschiebungseffekt auslöst. Anlass für dauerhaft mehr Investitionen und Beschäftigung gibt sie nicht. Der Strohfeuereffekt ist relativ hoch. Zudem bringt sie wenig für die Branchen, die weiterhin durch Einschränkungen betroffen sind und nur eine beschränkte Anzahl von Kunden bedienen können. Sie wird wohl auch als Trostpreis für die Fahrzeughersteller verkauft.

Positiv ist der Steuerverlustrücktrag. Damit wird Unternehmen, die in den vergangenen Jahren Gewinne erzielten, in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie allerdings Verluste erwarten, diese zeitnah leichter miteinander zu verrechnen. So müssen die Investitionen nicht so stark abbauen. Der Umfang ist allerdings bescheiden, was Volumen und Berücksichtigung vorangegangener Jahre betrifft. Das Instrument hätte deutlich stärker genutzt werden können. Es geht um eine Verschiebung von 2 Milliarden Euro Steuereinnahmen.
Mit einer temporären degressiven Abschreibung soll der Anreiz für mehr Investitionen gesetzt werden. Da dies nur für 2020 und 2021 gilt, wird es wohl lediglich ein gewisses Vorziehen von Investitionsausgaben bewirken. Besser wäre es gewesen, dauerhaft die Ertragssteuern zu senken, denn das Investitionskalkül ist nicht nur auf das laufende Jahr, sondern auf die mittlere und längere Zukunft ausgerichtet.

Eine gute Idee ist es, wettbewerbsfähige Strompreise in den Blick zu nehmen. Da nimmt der Bund 11 Milliarden Euro in die Hand. Bei dieser Gelegenheit sollte er zudem eine Reform des EEG angehen, um es effizienter zu machen und einem Preis für CO2-Emissionen die zentrale Rolle in der Klimapolitik zuzuweisen. So würden die Rahmenbedingungen für einen Strukturwandel hinzu weniger klimaschädlichen Emissionen verbessert. Dabei könnte auch die Stromsteuer auf den europäischen Mindestsatz gesenkt werden.

Sinnvoll ist es auch, die Gelegenheit zu nutzen, um öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur zu erhöhen, jetzt da wieder mehr Kapazitäten in der Bauindustrie frei werden. Die konjunkturelle Wirkung hängt aber auch davon ab, dass man Unternehmen und Arbeitskräfte aus dem Ausland wieder Zugang gibt, denn in vielen Bereichen des Baus sind sie von großer Bedeutung. Sinnvoll sind Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr, eine bessere Netzinfrastruktur und der Ausbau des Breitbandnetzes – wovon auch viele Arbeitnehmer im Homeoffice profitieren würden –, Infrastruktur für emissionsneutrale Mobilität wie etwa Elektroladesäulen und Wasserstoffstrategie oder generell die Digitalisierung von Behörden und Schulen. Wichtig ist, dass der Staat nicht immer selbst als Investor auftreten muss: Er kann auch die Vorhaben koordinieren oder durch Zuschüsse Anreize für private Investoren setzen. Sinnvoll sind die Bereiche Digitalisierung, Netzausbau, Ladestationen, Wasserstoffstrategie, Gesundheitssektor, Schulen und Bildung."