Volker Wieland: "Den Leitzins nicht zu erhöhen wäre ein Fehler" (Passauer Neue Presse)

Angesichts der steigenden Inflationsraten hat Prof. Volker Wieland im Interview mit der "Passauer Neuen Presse" die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und sich für schnellere Zinserhöhungen ausgeprochen. Eine Langfassung des Interviews lesen Sie hier.

Wie stark beeinträchtigt die Teuerung auf allen Ebenen die Erholung der deutschen Wirtschaft aus dem Corona-Tal?

Am stärksten betrifft das derzeit die Industrie und den Bau. Die Industrie leidet unter Lieferschwierigkeiten und Engpässen bei Vorprodukten ebenso wie den höheren Frachtkosten und Energiepreisen. Der Bau boomt eigentlich schon durch die ganze Corona-Krise hindurch. Aber die Kostensteigerungen bei den Rohstoffen und Vorprodukten führen dazu, dass die Baupreise schneller steigen und so manches Projekt nicht durgeführt werden kann –  oder zumindest nicht im vorgesehen Zeitraum. Das dürfte sich auch entsprechend auf die beabsichtigten Infrastrukturinvestitionen des Staates auswirken.  

Sollte die EZB angesichts der hohen Inflationsraten Abschied von ihrer Null-Zins-Politik nehmen, ihren hohen Wertpapier-Käufen und wenn ja, wann?

Ja, sie sollte das Pandemie-Notfallkaufprogramm beenden. Das hat sie nun für Ende März auch beschlossen. Allerdings will sie das „normale“ Anleihekaufprogramm bis Ende des Jahres hochfahren, so dass die Käufe nur Schritt für Schritt zurückgehen. Eine Leitzinserhöhung oder Abschaffung des negativen Einlagezinses hat sie für 2022 nahezu ausgeschlossen. Das halte ich für einen Fehler.

Damit sich die Inflationsentwicklung mittelfristig bei 2 Prozent normalisiert, müsste die Notenbank meines Erachtens klar signalisieren, dass sie den Leitzins auf ein dazu passendes neutrales Niveau zurückführt. Derzeit wissen wir von der EZB nicht, wo dies liegen sollten und wann es dahin zurückgeht. Ganz anders die Fed in den USA. Im Fall der Fed wissen wir, dass die Zentralbankratsmitglieder denken, das neutrale Niveau wäre so etwa bei 2,5 Prozent, und sie erwarten zumeist, im Jahr 2022 den Zins einen guten Prozentpunkt anzuheben. Die EZB sollte sich offenhalten, in der zweiten Jahreshälfte irgendwann einen ersten Zinsschritt zu unternehmen.

Rechnen Sie mit einer Aufweichung der deutschen wie der europäischen Fiskalregeln mit Unterstützung der deutschen Regierung?

Die französische und die italienische Regierung üben einen starken Druck aus, jetzt die Fiskalregeln aufzuweichen. Das muss nicht verwundern, denn die italienischen Staatsschulden liegen bei 155 Prozent der Wirtschaftsleistung und die französischen bei 115 Prozent, und die Regierungen zeigen keine Neigung, diese zu reduzieren. Sie spüren keinen Druck am Markt, denn die EZB hat ja bereits im Umfang der Neuverschuldung während der Corona-Krise öffentliche Wertpapiere aufgekauft. Die Schulden wurden somit monetarisiert. Da liegt es nahe, sich darauf zu verlassen, dass die EZB auch in Zukunft interveniert, sollte der Schuldendienst zu teuer werden. Für die Währungsunion ist das kein gesunder Zustand. Die Notenbank muss frei sein, auf die Inflation reagieren zu können. Deshalb sind bindende Schuldenregeln wichtig. Man sollte also nicht, wie von mancher Seite gefordert, den Maastricht-Vertrag ändern und die zulässige Schuldenquote von 60 Prozent auf 100 Prozent erhöhen. Das führt nur dazu, dass niedriger verschuldete Staaten ebenfalls die Schulden nach oben fahren. Wenn Frankreich, das in den vergangenen Jahren des Aufschwungs bis 2019 die Schuldenquote weiter erhöht hat, es zu ambitioniert findet, die Schuldenquote pro Jahr um 1/20 der Differenz zu 60 Prozent zu reduzieren, dann ist das zwar verständlich.

Die deutsche Regierung sollte sich aber nur auf eine weniger ambitionierte, länger dauernde Stabilisierung der Schuldenquoten innerhalb der EU-Regeln einlassen, wenn die betroffenen hochverschuldeten Staaten konkrete Maßnahmen ergreifen und nachweislich die Schuldenquote wieder reduzieren. Eine Aufweichung der Regeln wäre weder in deutschem Interesse noch im Interesse einer langfristig stabilen Währungsunion.

Wie wird der von Wirtschafts- und Klimaminister Habeck vorgestellte Plan für eine beschleunigte Energiewende auf die Konjunktur wirken?

Es ist wichtig, Wirtschaft und Klima gleichzeitig im Auge zu behalten. Ohne Wirtschaftswachstum werden wir die Transformation, die eine weitgehende Reduktion fossiler Brennstoffe von Unternehmen und Haushalten fordert, nicht schaffen. Es muss in neue Technologien investiert und Innovationen vorangetrieben werden. Das klappt nicht in einer schrumpfenden Wirtschaft. Zentral sollte der Preismechanismus sein. Dabei sollten baldmöglichst Verkehr und Gebäude in den EU-Emissionshandel für Treibhausgaszertifikate eingebracht werden, und zwar EU-weit.  Alleingänge Deutschlands bringen da wenig. Das gilt auch für den beschleunigten Kohleausstieg. Ohne eine Reduktion der Zertifikate im EU-Emissionshandel bedeutet dies nur, dass andere Staaten mehr emittieren. Der Schwerpunkt muss also auf europäischen Verhandlungen liegen und wie man andere Staaten dazu bekommt, in dieselbe Richtung zu ziehen. Außerdem ist Pragmatismus gefordert. Ein praktisches Beispiel: Wenn etwa die Stahlherstellung möglichst schnell auf sehr teuren und wenig verfügbaren grünen Wasserstoff umgestellt werden soll, dann wird das mit hohen Subventionen und Kosten für den deutschen Steuerzahler einhergehen. Sinnvoll ist, erst mal günstigeren blauen Wasserstoff zu verwenden –er wird mithilfe von Erdgas hergestellt - und dabei entstehende CO2-Emissionen zu speichern, so dass sie nicht in die Atmosphäre entweichen. Dies würde helfen, den Übergang zu meistern.

In jedem Fall sollte an internationalen Partnerschaften gearbeitet werden, denn die Industrienation wird Energie auch in Zukunft zum großen Teil importieren müssen. Dafür ist grüner Wasserstoff, hergestellt zum Beispiel mit Solarenergie in sonnenreichen Gebieten der Erde, eine interessante Möglichkeit.  

Worin sehen Sie das größte Risiko für die Wirtschaftsmacht Deutschlands?


Den Staat überall zu Hilfe zu rufen und sich auf ihn zu verlassen, statt auf private Initiative und Wettbewerb zu setzen, und diesen beiden Kräften die angemessenen und notwendigen Freiräume zu nehmen.

Eine gekürzte Version des Interviews finden Sie hier:

Passauer Neue Presse: "Leitzins nicht zu erhöhen ist ein Fehler" (€)