Volker Wieland : "Größere Distanz des Bundesverfassungsgerichts zur EuGH-Begründung wäre im OMT-Urteil wünschenswert gewesen"

Bei der Billigung des OMT-Programms der Europäischen Zentralbank (EZB) durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hätte sich Prof. Volker Wieland gewünscht, dass sich Karlsruhe im Urteilsspruch "expliziter von der Begründungsstrategie des EuGH distanziert". "Das Bundesverfassungsgericht schafft damit gewisse Grenzen für die Beteiligung der Bundesbank am EZB-Kurs, was das OMT-Programm angeht", sagte er. Das Urteil hat seiner nach Auffassung Signalwirkung auch für die anderen Mitgliedstaaten der Eurozone.

"Das Bundesverfassungsgericht kann nur Beschränkungen für deutsche Organe, also Bundesregierung oder Bundesbank aussprechen. Konkret hat das BVerfG der Bundesbank vorgeschrieben, sich nur dann an Anleihekäufen im Rahmen des OMT-Programms zu beteiligen, wenn diese nicht angekündigt werden, zwischen Emission der Schuldtitel und Ankauf eine Mindestfrist liegt, und nur dann Anleihen  erworben werden, wenn der Mitgliedstaat noch Zugang zum Anleihemarkt hat. Außerdem sollen die Anleihen nur in Ausnahmen bis Endfälligkeit gehalten werden, und in der Regel wieder verkauft werden, wenn die Intervention nicht mehr erforderlich ist.

Die Bundesregierung und Bundestag werden vom BVerfG verpflichtet, eine etwaige Durchführung des Programms dauerhaft zu beobachten, insbesondere daraufhin, ob aus dem Volumen und der Risikostruktur der erworbenen Anleihen ein konkretes Risiko für den Bundeshaushalt erwächst.

Außerdem kritisiert das BVerfG die Begründung des Europäischen Gerichtshofes in dessen Urteil vom 16. Juni 2015. Beispielsweise schreibt das BVerfG, dass der Gerichtshof die Behauptung einer geldpolitischen Zielsetzung hingenommen hat, ohne die zugrundeliegenden tatsächlichen Annahmen zu hinterfragen oder zumindest im Einzelnen nachzuvollziehen  und ohne diese Annahmen mit den Indizien in Beziehung zu setzen, die offensichtlich gegen einen geldpolitischen Charakter sprechen.

Das Bundesverfassungsgericht schafft damit gewisse Grenzen für die Beteiligung der Bundesbank am EZB-Kurs bezüglich der OMT. Das hat Signalwirkung auch für die anderen Mitglieder des EZB-Rates. Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit das BVerfG über die vom EuGH gesetzten Grenzen, die primär auf der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen aufsetzen, hinausgeht.

Das BVerfG übernimmt jedenfalls nicht wortwörtlich die Beschreibung dieser Grenzen aus dem Urteil des EuGH, sondern liefert seine eigene Auslegung. Für die Bundesbankbeteiligung und mögliche deutsche Kläger bei einer Durchführung des OMT-Programms ist die Auslegung des BVerfG relevant. Ich halte insbesondere die explizite Begrenzung auf Staaten, die Marktzugang haben, für relevant.  Sollte die Bundesbank sich an OMT-Aufkäufen beteiligen, die einen Staat betreffen, der vermutlich ohne diese Käufe keinen Marktzugang hätte, wäre nach meiner Einschätzung ein Anlass für eine neue Klage gegeben.

Mit dem OMT-Programm hatten die Karlsruher Richter eine Entscheidung in einem schwierigen Umfeld zu treffen. Sie können auch angesichts des anstehenden Referendums zur EU-Mitgliedschaft Großbritanniens die Kooperation mit dem EuGH nicht komplett aufkündigen. In ihrer Abweisung der Klagen haben sie sehr genau auf den Ankündigungsbeschluss der EZB für die OMT abgestellt. Die Pflichten von Bundesbank und Bundesregierung im Zusammenhang mit der Durchführung des OMT-Programms schaffen jedoch Raum für zukünftige gerichtliche Überprüfungen einer etwaigen Umsetzung des OMT-Programms.

Ich hätte mir gewünscht, dass das BVerfG sich expliziter von der Begründungsstrategie des EuGH distanziert. Insbesondere hat der EuGH mit seiner Begründung der Rechtmäßigkeit der OMT zur Entstörung des monetären Transmissionsmechanismus eine viel zu weit greifende Begründung angeführt, die noch weitgehendere Eingriffe der EZB mit Wirkung auf andere wirtschaftspolitische Bereiche rechtfertigen würde. Die Begründung des EuGH kommt einer Entgrenzung des EZB-Mandats nahe."

Zur Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts
Zur Studie des Kronberger Kreises: "Das entgrenzte Mandat der EZB" (PDF)