Volker Wieland zeigt, wie die Exit-Strategie der EZB aussehen sollte ("Süddeutsche Zeitung")

In einem Gastbeitrag gibt Volker Wieland konkrete Handlungsempfehlungen, wie ein geordneter Ausstieg der Europäischen Zentralbank (EZB) aus dem Quantitative Easing aussehen kann, ohne dass dabei Gefahren für die Finanzstabilität und die Banken entstehen.

Massive Anleihekaufprogramme der EZB haben die Bilanz der Notenbank in nie zuvor gesehene Höhen getrieben. Bis Dezember will die EZB Staatsanleihen und andere Papiere im Wert von 2280 Milliarden Euro erworben haben. Damit wird sie ihre Bilanz im Vergleich zu den Zeiten vor der Finanzkrise nahezu vervierfachen. Noch rätseln Anleger, wie es von Anfang 2018 an mit dem Kaufprogramm weitergeht. Obwohl sich Inflation und Wirtschaftswachstum im Euro-Raum seit 2014 erholt haben, verstärkt die EZB immer noch die expansive Geldpolitik. Die Wirtschaftsleistung dürfte 2017 das längerfristige Potenzialniveau überschreiten und weiterhin schneller als das Potenzial wachsen. Damit nimmt der Inflationsdruck auch ohne weitere Anleihekäufe zu. Zudem führt das lang anhaltende Niedrigzinsumfeld zu steigenden Risiken für Banken und gefährdet die Finanzstabilität insgesamt. Je länger die EZB den Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik hinauszögert, umso schwieriger gestaltet sich eine Normalisierung.

Sollte die EZB ihre Anleihekäufe abrupt beenden, steht zu befürchten, dass die Risikoprämien auf Anleihen hoch verschuldeter Staaten in die Höhe schnellen. Die finanzielle Tragfähigkeit einiger Staaten könnte gefährdet sein. Untersuchungen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) legen zudem nahe, dass die Stabilität des Finanzsystems umso mehr gefährdet ist, je länger eine Notenbank an der quantitativen Lockerung festhält: Der Anteil von Niedrigzinskrediten steigt und steigt, die Zinsänderungsrisiken nehmen zu. Wenn dann für Einlagen wieder höhere Zinsen fällig werden, können die Banken nur mit geringen Erträgen aus ihrem Kreditbestand rechnen. Angesichts dieser schwierigen Situation sollte die EZB den Ausstieg beherzt, aber nicht überstürzt angehen. Bei aller Diskussion um den idealen Zeitpunkt sollte zumindest Einigkeit bestehen, dass sie eine klare und glaubwürdige Strategie für die Normalisierung benötigt, die den Risiken Rechnung trägt.

Dazu gäbe es vier Empfehlungen. Das Entscheidungsverhalten der EZB sollte erstens vorhersehbar sein. Marktteilnehmer sollten verstehen, wie die EZB auf Veränderungen in Inflation, Wachstum und anderen Kennzahlen reagiert. Deshalb muss sie ihre Strategie schnellstmöglich und mit Vorlauf präsentieren, bevor sie weitere Schritte in Angriff nimmt. Das hilft Marktteilnehmern, Erwartungen über den Normalisierungsprozess zu bilden, was zu einer ausgeglichenen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung beiträgt. Wie wichtig das ist, hat 2013 das "Taper Tantrum" vor Augen geführt, als der damalige Chef der US-Notenbank Fed, Ben Bernanke, mit seinen Ankündigungen die Anleihekurse in die Höhe schießen ließ. Die Fed lernte daraus. 2014 veröffentlichte sie Grundregeln zur Normalisierung ihrer Geldpolitik.

Für einen geordneten Ausstieg ist zweitens eine symmetrische Reaktion der EZB hilfreich: Genauso wie in der Finanzkrise eine expansive Geldpolitik unterstützend wirkte, ist es in einem günstigeren Umfeld ratsam, die Geldpolitik wieder zu straffen, anstatt zu lange auf Deflationsrisiken zu schauen.

Drittens ist die Reihenfolge des Vorgehens wichtig: Die EZB sollte zuerst die Anleihekäufe auslaufen lassen, bevor sie die Zinsen anhebt. Die EZB sollte ihre Bestände an Staatsanleihen nicht noch weiter erhöhen. Sie stößt ohnehin an selbstgesetzte Limits und verzerrt die Finanzierungskosten der Mitgliedstaaten. Ohne die Notenbankinterventionen auf den Anleihemärkten würden mittel- und langfristige Zinsen vielmehr die Markterwartungen bezüglich Inflation und Wachstum sowie angemessene Risikoprämien widerspiegeln. Die Banken könnten Neukredite zu höheren Zinsen vergeben, während die Zinsen auf Einlagen noch mit dem Notenbankzins verharren. So gingen die Zinsänderungsrisiken auf den Bankbilanzen zurück. Das vom Volumen her unbedeutende Kaufprogramm für Unternehmensanleihen kann sofort gestoppt werden.
Die EZB könnte Klarheit über ihre eigenen Erwartungen schaffen

Viertens sollte die EZB ihre Kommunikation zur erwarteten zukünftigen Ausrichtung der Geldpolitik ausbauen, die sie seit 2013 betreibt. Diese "Forward Guidance" soll Transparenz schaffen und Marktteilnehmern Orientierung geben. Im Vergleich zu anderen Notenbanken ist die EZB mit Informationen sehr zurückhaltend. So veröffentlichen etwa die Zentralbanken in Norwegen und Schweden regelmäßig offizielle Leitzinsprognosen, die konsistent mit ihren ebenfalls veröffentlichten Wachstums- und Inflationsprognosen berechnet werden. Daran lässt sich erkennen, wie lange die quantitative Lockerung anhält und wie Inflations- und Wachstumsentwicklungen mit der Geldpolitik zusammenhängen. Die US-Notenbank Fed veröffentlicht zwar keine offizielle Prognose, dafür aber Leitzins-, Inflations-, Wachstums- und Arbeitslosigkeitsprognosen der einzelnen Mitglieder des Offenmarktausschusses.

Für eine erfolgreiche geldpolitische Normalisierung könnte die EZB erst einmal Klarheit über ihre eigenen Erwartungen zur Dauer der Anleihekäufe und zum Notenbankzinspfad schaffen. Sollte der EZB-Rat darüber keine Einigung erzielen, könnte die EZB zumindest dem Beispiel der Fed folgend die Prognosen der einzelnen Ratsmitglieder mit den Protokollen der geldpolitischen Sitzungen publik machen. Derzeit veröffentlicht die EZB lediglich eine Stabsprognose, die nicht auf einer eigenen Zinsprognose, sondern der Leitzinserwartung aus Finanzinstrumenten aufbaut.

Im Idealfall klärt die EZB die Marktteilnehmer auf, wie sie makroökonomische Faktoren in der Geldpolitik gewichtet. Reaktionsfunktionen oder Regeln machen die Geldpolitik nachvollziehbar, ohne dass sich Notenbanken ihnen sklavisch unterwerfen müssen. Weicht sie davon ab, kann die Notenbank auf diese Weise ihre Beweggründe darstellen.

Jüngst hat die Fed Leitzinsprognosen publiziert, die sich aus verschiedenen Regeln ergäben, ohne sich festzulegen. Dies wäre ein leicht gangbarer Einstieg für die EZB. Sie könnte Varianten der Stabsprognose mit verschiedenen geldpolitischen Regeln verwenden. Damit würde sie für mehr Klarheit sorgen, wie die geldpolitische Normalisierung mit der wirtschaftliche Erholung zusammenhängt, ohne eine feste Verpflichtung einzugehen.

Ob der Ausstieg aus der extrem lockeren Geldpolitik gelingt, liegt zwar nicht allein in der Hand der EZB. Reformstau und Konsolidierungsmüdigkeit in den Mitgliedsländern schaffen mehr als genug Schwierigkeiten. Aber ohne eine klar kommunizierte Strategie und ein größeres Maß an Transparenz wird der Ausstieg kaum reibungslos verlaufen.

Dieser Gastbeitrag ist am 06.09.17 in der Süddeutschen Zeitung erschienen und basiert auf einem gemeinsamen Aufsatz von Günter Beck und Volker Wieland (IMFS Working Paper 115).