Volker Wieland zur Debatte über den EZB-Kurs ("Börsen-Zeitung")

Vor der nächsten Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) Anfang Juni herrscht die Erwartung, dass die EZB ein ganzes Maßnahmenbündel ankündigen könnte.

Die "Börsen-Zeitung" hat mehrere Volkswirte, darunter Volker Wieland, zum künftigen Kurs der EZB befragt.

Die EZB hat recht klar eine weitere Lockerung für Anfang Juni in Aussicht gestellt ist. Finden Sie es richtig, dass die EZB zur Tat schreiten will? Wie schätzen Sie die Diskussion über Deflation und „Low-flation“, als eine sehr niedrige Teuerung, im Euroraum ein?

Präsident Draghi hat nach der Mai-Sitzung signalisiert, dass im Juni eine weitere Lockerung folgen könnte. Dabei hat er betont, die neue Inflations- und Wachstumsprognose des EZB-Stabs abwarten zu wollen.  Gemessen an der historischen Reaktion der EZB-Zinspolitik auf Prognosen externer Experten, ist der Leitzins von 25 Basispunkten jedoch bereits recht niedrig. Angesichts der höheren Inflationserwartungen ist die reale Verzinsung negativ. Eine weitere Zinssenkung wäre deshalb nicht zwingend.

Die EZB befürchtet vor allem ein Absacken der Inflationserwartungen: Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass das Vertrauen in die EZB durch eine anhaltend unter dem Zielwert liegende Inflation Schaden nehmen könnte?

Die niedrige Inflation folgt aus dem Rückgang der Energiepreise. Draghi hat zuletzt wieder betont, dass die Energiepreise 80% des Rückgangs der Inflationsrate seit 2012 verursacht haben. Die Glaubwürdigkeit der EZB ist dadurch nicht gefährdet. Zweck ihrer mittelfristigen Strategie ist gerade, nicht auf kurzfristige Schwankungen in den Energiepreisen zu reagieren. Der Ukraine-Russland-Konflikt kann sie auch schnell wieder nach oben treiben.

Kopfzerbrechen bereitet der EZB zunehmend auch die Stärke des Euro. Glauben Sie, dass die EZB den Wechselkurs nachhaltig drücken kann – da es ja viele fundamentale  Gründe gibt wie die Kapitalzuflüsse  infolge des wieder gewonnenen Vertrauens in die Eurozone? Und sollte die EZB sich gegen die Euro-Stärke stemmen?

Die EZB sollte sich nicht gegen den Wechselkurs stemmen, sondern auf die inländische Preisstabilität konzentrieren.  Insoweit eine anhaltende Aufwertung die Konjunktur und Inflation in der Eurozone merklich beeinflusst, fließt sie in die mittelfristige Prognose der EZB ein.  Rührt sie von Kapitalzuflüssen in die Anleihenmärkte der Euro-Krisenländer her, so hat sie wiederum auch eine positive, wachstumsfördernde Seite. So bleiben die Risikoprämien niedrig.

Die EZB ist im Zuge einer Leitzinssenkung auch bereit, den Einlagezins unter 0% abzusenken – ein Novum für eine der großen Zentralbanken. Was halten Sie von dieser Maßnahme? Wo liegen aus Ihrer Sicht Chancen, wo Risiken?

Grundsätzlich kann ein negativer Einlagenzins sinnvoll sein, um den Banken, die überschüssige Liquidität bei der Notenbank parken, einen Anreiz zu geben, das Geld anderen Banken zu leihen, die einen positiven Zins zahlen.  Allerdings scheint der Interbankenmarkt bereits wieder in Schwung gekommen zu sein, so dass auch diese Maßnahme aktuell nicht zwingend erscheint.

Ein großes Sorgenkind ist die Kreditvergabe: Sollte die EZB private Wertpapiere wie Kreditverbriefungen aufkaufen, um den Kreditfluss wieder in Gang zu bekommen? Sollte die EZB auch in großem Stil Staatsanleihen kaufen, wenn alles andere nichts bringt?

Schwächelnde Banken müssen sich zurzeit für die umfassende Bewertung der Bankbilanzen durch die EZB fit machen.  Sie werden jetzt wohl kaum auf ein Kaufprogramm der EZB hin stark ihre Kredite ausweiten.  Sie müssen zusätzliches Kapital aufnehmen und in ihren Krediten schlummernde Verlustrisiken aufdecken.  Diesen Prozess gilt es voranzutreiben. Auf nationaler Ebene sollten fiskalische Mittel bereitgestellt werden, für den Fall, dass Banken restrukturiert oder abgewickelt werden müssten. Ein großangelegtes Kaufprogramm für Staatsanleihen sollte nur in Betracht kommen, wenn sich eine anhaltende Deflation, also fallende Preise über die Eurozone hinweg, zeigt.

Frankreich strebt nach der Europa-Wahl einen grundlegenden Wandel an, der die EZB-Geldpolitik mehr zu einem Instrument für Wachstum und Arbeitsplätze macht: Wie beurteilen Sie diesen Vorstoß? Besteht die Gefahr, dass die EZB überfordert wird?

Die EZB ist mit ihrem jetzigen geldpolitischen Mandat sehr gut aufgestellt.  Eine Veränderung der Verträge in dieser Hinsicht ist nicht notwendig.  Maßnahmen, die möglicherweise außerhalb des Mandats fallen, sollten vermieden werden.   Auf nationaler Ebene können die Fiskalpolitik und strukturelle Reformen eingesetzt werden, um das Wirtschaftswachstum zu stärken.

Die Fragen stellte Mark Schrörs.

Die vollständigen Umfrage der "Börsen-Zeitung" mit den Antworten von Lorenzo Bini Smaghi, Jürgen Stark, Joachim Fels und William White lesen Sie hier.