Volker Wieland: "Deutschland muss darauf achten, wettbewerbsfähig zu bleiben" (Consejeros/The Corner)

In der Globalisierung, dem demographischen Wandel und der Digitalisierung sieht Volker Wieland die größten Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft. "Die finanzpolitischen Spielräume, die derzeit bestehen, sollte die Regierung für wachstumsfreundliche Reformen nutzen", sagte er im Interview mit dem spanischen Wirtschaftsmagazin Consejeros. In guten Zeiten sei es angebracht, Schulden abzubauen, um Spielraum für die Zukunft zu gewinnen.

Welche sind heute die wichtigsten Herausforderungen der deutschen Wirtschaft?

Besondere Herausforderungen ergeben sich aus der Globalisierung, dem demografischen Wandel und der Digitalisierung. Mit der Digitalisierung sind große Chancen verbunden, die Arbeitsproduktivität zukünftig wieder mehr zu steigern. Deutsche Industrieunternehmen haben den Einsatz von Industrierobotern sehr erfolgreich vorangetrieben. Die deutsche Wirtschaft insgesamt gesehen hat jedoch durchaus noch Schwächen bei der effizienten Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologie. Die Regierung sollte nicht primär den subventionierten Ausbau des Breitbandnetzes in den Vordergrund stellen, sondern die gesamte Regulierung auf Innovationshemmnisse überprüfen und gegebenenfalls neu aufstellen. 

Was geschieht mit den Menschen, die diesen Herausforderungen nur mit Mühe begegnen können? Gibt es eine Kluft zwischen Arm und Reich?

Mit der Frage der Einkommensverteilung beschäftigt sich der Sachverständigenrat für die Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung regelmäßig. Die Analyse zeigt, dass die Verteilung der Nettoeinkommen seit 2005 stabil ist. Tatsächlich haben die Reformen in Deutschland in den 2000er Jahren und das Wachstum des Niedriglohnsektors nicht zu einer Verschlechterung, sondern zu einer Stabilisierung der Einkommensverteilung geführt. Das Narrativ einer zunehmenden Einkommensungleichheit trifft auf Deutschland seit den Arbeitsmarktreformen nicht zu. Es liegt daher kein Handlungsbedarf für eine stärkere Umverteilung vor. 

Um die deutsche Wirtschaftspolitik neu zu justieren, sollte die Regierung vielmehr die Rente nachhaltig gestalten und Steuern und Abgaben senken. Dies gilt etwa für die kalte Progression, denn Inflation führt zu einer höheren Steuerbelastung, wenn die Steuersätze nicht entsprechend angepasst werden. Dies belastet besonders Bezieher mittlerer Einkommen. Mit einer Tarifreform der Einkommensteuer sollten Mehreinnahmen aus der Kalten Progression zurückgegeben werden. Die geplanten Erleichterungen beim Solidaritätszuschlag sind viel zu zaghaft. Diejenigen die das Gros des Soli tragen sind zudem ausgeschlossen. Der Solidaritätszuschlag ist 28 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht mehr angebracht und sollte komplett abgebaut werden. 

Die Unternehmenssteuersenkung in den USA und entsprechende Vorhaben in anderen Ländern wie etwa in Frankreich können von Deutschland nicht ignoriert werden. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, ist dringend zu vermeiden, dass Deutschland im internationalen Vergleich wieder weit nach oben rutscht.

Was erwarten Sie von der Großen Koalition? Soll sie am Ziel der schwarzen Null festhalten?

Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem kräftigen Aufschwung, der einen deutlichen Haushaltsüberschuss mit sich bringt. Die finanzpolitische Lage ist derzeit sehr gut, dürfte aber nicht von Dauer sein. Der gesamtstaatliche Finanzierungsüberschuss für 2017 lag bei 38,4 Mrd. Euro, also 1,2% des Bruttoinlandsprodukts, und der Schuldenstand relativ zur Wirtschaftsleistung dürfte bis 2019 knapp unter die 60-Prozent-Grenze der Maastricht-Regeln fallen. In solch guten Zeiten ist es angebracht Schulden abzubauen, um Spielraum für die Zukunft zu gewinnen. Denn in schlechten Zeiten und Krisen kommt es unweigerlich wieder zu Defiziten und einem Anstieg der Schulden. Deshalb ist es völlig richtig, diese Konsolidierung fortzusetzen. Außerdem werden die Zinskosten in Zukunft wieder steigen und die demografische Entwicklung stellt die Politik noch vor große fiskalische Herausforderungen. Die Spielräume, die derzeit bestehen, sollte die Regierung für wachstumsfreundliche Reformen nutzen, also Maßnahmen, die das Wirtschaftspotenzial erhöhen.

Für die EU und die Euro-Zone werden derzeit ambitionierte Reformen der Finanzverfassung diskutiert. Wie weit werden Merkel und Macron gehen können?

Emmanuel Macron hat in seiner vielbeachteten Rede an der Sorbonne einige Möglichkeiten für eine verstärkte Zusammenarbeit in der Europäischen Union angesprochen, die wir nutzen sollten. Gerade in den Bereichen Migration, Sicherheit und Verteidigung, sowie Klima und Energie wäre es möglich gemeinsam Erfolge zu erzielen, die helfen würden, den Frust der Wähler mit der EU bekämpfen.

Was die Währungsunion angeht, hat Präsident Macron lediglich altbekannte französische Vorschläge, wie etwa einen „europäischen Finanzminister“ oder eine „europäische Fiskalkapazität“, wieder aufgewärmt. Probleme werden damit nicht gelöst. Der europäische Finanzminister wird weder die Finanzen der französischen noch der anderen Regierungen kontrollieren. Die Mitgliedsstaaten sind, wie vom Wähler weitgehend gewünscht, in der Haushaltspolitik souverän. Sie müssen deshalb selbst dafür sorgen, dass sie nachhaltig wirtschaften und ihr Schulden tragen können. Für Krisen gibt es bereits den Europäischen Stabilitätsmechanismus. Eine Fiskalkapazität wäre nur ein Einfallstor für Transfers oder Kredite ohne Bedingungen. Damit läuft man Gefahr die zentrifugalen Kräfte in der Währungsunion weiter zu stärken.

Stattdessen sollte man die europäischen Institutionen verstärkt darauf ausrichten, dass Eigenverantwortung gelebt wird. Dabei würde eine Eigenkapitalunterlegung von Staatsschulden in der Bankenregulierung helfen. Außerdem sollte man in Zukunft chaotisch verlaufende Restrukturierungen von Staatsschulden, wie in Griechenland vermeiden. Dies geht, indem man einen Ordnungsrahmen für solche Prozesse schafft und mit dem ESM verbindet. Das kann man dann auch Europäischen Währungsfonds nennen. Der Sachverständigenrat hat dazu konkrete Vorschläge gemacht.

Die Fragen stellte Lidia Conde.

Volker Wieland im Interview mit Consejeros:
"No podemos ignorar la bajada masiva de impuestos en las empresas en EEUU ni la reforma prevista en Francia"

Das vollständige Interview ist in der Juni-Ausgabe von Consejeros zu finden.