12. Deutsch-Türkisches Forum für Staatsrechtslehre

Während der zweitägigen Konferenz des IMFS diskutierten Rechtsexperten aus der Türkei und Deutschland aktuelle Fragen der Geld- und Finanzstabilität.

Bei zwei Billionen Euro liegt der Schuldenberg des deutschen Staates, stetig aufgetürmt Jahr für Jahr. Nur im Jahr 2013 bauten Bund, Länder und Kommunen erstmals seit 1950 ihre Schulden ab. Doch nach Einschätzung von Professor Werner Heun von der Universität Göttingen steht Deutschland gar nicht schlecht dar. „Ohne die Kosten der Wiedervereinigung wäre Deutschland jetzt bei einem Schuldenstand von 40 Prozent des Bruttosozialprodukts und damit eines der am geringsten verschuldeten Länder der Welt“, sagte er beim zwölften deutsch-türkischen Forum für Staatsrechtslehre, zu dem am 29. und 30. September 2014 Rechtsexperten und Notenbankvertreter aus beiden Ländern auf dem Frankfurter Campus Westend zusammengekommen waren. Bei der Veranstaltungsreihe, die in diesem Jahr vom Institute for Monetary and Financial Stability (IMFS) organisiert wurde, tauschen sich Verfassungsrechtler aus beiden Ländern über Grundfragen des Öffentlichen Rechts aus.

Die Schuldenbremse in Deutschland habe nicht versagt, sagte Heun weiter in seinem Vortrag zu den Grenzen der Kreditfinanzierung des Staates. Die Neuregelung der Schuldenbremse von 2009, die nach einer Übergangsfrist dem Bund ab 2016 und den Länder ab 2020 die strukturelle Verschuldung verbietet, sieht zwar Ausnahmen vor. Doch wie seien „außergewöhnliche Notsituationen“ wie die Finanzkrise von „bloßem zyklischen Konjunkturverlauf“ abzugrenzen?, gibt Heun zu bedenken. Die Zielsetzung der deutschen Schuldenbremse sieht er als verfehlt.

Auf europäischer Ebene ergänzt seit 2013 der Fiskalpakt den Stabilitäts- und Wachstumspakt – allerdings als völkerrechtlicher Vertrag, ohne Unionsrecht zu sein und daher auch ohne Vorrang vor der deutschen Verfassung. „Sowohl in der Schuldenbremse als auch im Fiskalpakt fehlen jegliche Anreize zur Investitionsfinanzierung“, kritisiert Heun. Die frühere Kombination aus Goldener Regel – wonach eine staatliche Kreditaufnahmen insoweit angemessen ist, soweit damit staatliche Investitionen als Kompensation für verdrängte private Investitionen finanziert werden – und Maastricht-Kriterien ist für den Verfassungsrechtler „eine insgesamt überzeugendere Schuldenbegrenzungsregelung“. Schon jetzt sei absehbar, dass einige Bundesländer nicht in der Lage sein werden, 2020 einen ausgeglichenen Haushalt zu präsentieren. „Der Verfassungsbruch ist programmiert“, sagt Heun. Aus europäischer Sicht beanstandet Heun vor allem die Durchsetzung der Regeln. Sie liege letztlich in den Händen politischer Gremien. „Trotz aller Verfahrensvorkehrungen ist äußert fraglich, ob das harte Sanktionsregime auch gegenüber Ländern zur Anwendung gelangt, die nicht auf Finanzhilfen angewiesen sind.“

Den Vorrang der Preisstabilität vor allen anderen Zielen innerhalb des Eurosystems erläuterte IMFS-Professor Helmut Siekmann in seinem Vortrag und räumte dabei gleichzeitig mit ungenauen Formulierungen und vermeintlichen Regelungen rund um die Europäische Zentralbank auf. So gebe es innerhalb des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) laut EU-Recht weder ein „Mandat“ noch ein „Inflationsziel“, sondern nur das Ziel der Preisstabilität. Auch der Grenzwert von „knapp unter 2 Prozent Steigerung der Verbraucherpreise“ sei eine einseitige Festlegung der EZB und nicht rechtlich verankert. Festgelegt in Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist dagegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung, wonach die EZB und die nationalen Zentralbanken keine Kredite an Hoheitsträger und dazugehörige Einrichtungen vergeben dürfen. Dabei seien „Gestaltungen, die der Umgehung dieses Verbots dienen, ebenfalls verboten“, führte Siekmann weiter aus. Dies sei auch im Zusammenhang mit dem OMT-Programm der EZB von Bedeutung. „Die Verknüpfung der Anleihekäufe mit fiskalpolitischen Voraussetzungen und ihre Selektivität zeigen, dass es sich bei OMT nicht mehr um Geldpolitik handelt“, sagte Siekmann. Genauso wie der Kauf von Staatsanleihen im OMT-Programm nicht mit den europarechtlichen Vorgaben zu vereinbaren sei, seien auch die neuen Langfristtender (LTRO und TLTRO) wegen ihrer langen Restlaufzeit nicht unbedenklich. „Das ist Wirtschaftspolitik in Form von Förderpolitik, aber keine Geldpolitik“, urteilte der Experte für Notenbankrecht. Doch die selektive Subventionierung einzelner Mitglieder des Euroraums durch die Notenbank sei verboten. Die Geldpolitik im Euroraum habe für das gesamte Währungsgebiet zu gelten.

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Deutsch-Türkisches Forum für Staatsrechtslehre

Über die Sicherung von Geld- und Finanzstabilität in Deutschland und in der Türkei diskutierten Rechtswissenschaftler, Vertreter von Notenbanken und Finanzexperten aus beiden Ländern am 29. Und 30. September 2014 beim zwölften deutsch-türkischen Forum für Staatsrechtslehre. Die Geldwertstabilität im deutschen Verfassungsrecht und im Europarecht erläuterte Professor Christian Waldhoff von der Humboldt-Universität Berlin. Professor Helmut Siekmann vom Institute for Monetary and Financial Stability (IMFS), Organisator der diesjährigen Veranstaltung, führte aus, wie die Preisstabilität in der Eurozone gewahrt wird und welcher Stellenwert ihr innerhalb des Europäischen Systems der Zentralbanken zukommt. Auf die Rolle der türkischen Notenbank im Vergleich dazu, die rechtlichen Grundlagen und die Möglichkeiten, innerhalb dieser Strukturen das Ziel der Preisstabilität zu verfolgen ging Șebnem Özbek Uygun von der Rechtsabteilung der türkischen Zentralbank ein.

Die Grenzen der Kreditfinanzierung des Staates im deutschen Verfassungsrecht und im Europarecht und die Auswirkungen in der Schuldenkrise stellte Professor Werner Heun von der Georg-August-Universität Göttingen dar. Nach einem Exkurs in die Arbeitsweise und Aufgaben des türkischen Rechnungshofes durch Ismail Cay diskutierten die Teilnehmer abschließend die Steuerung von Geld- und Fiskalpolitik durch das Recht. Das deutsch-türkische Forum für Staatsrechtslehre dient dem wissenschaftlichen Austausch über Grundfragen des Öffentlichen Rechts und findet abwechselnd in beiden Ländern statt. Begründet wurde die Veranstaltungsreihe im Jahr 2004 von den Verfassungsrechtlern Otto Depenheuer, Ilyas Dogan und Osman Can.