2020
13.11.2020
Prof. Volker Wieland, IMFS
“Corona-Krise gemeinsam bewältigen, Resilienz und Wachstum stärken”
Zuversichtlich, dass die Wirtschaft in Deutschland Anfang 2022 wieder das Niveau vor der Corona-Krise erreicht, zeigte sich Prof. Volker Wieland im IMFS Policy Webinar am 13. November 2020. „Die Pandemie bestimmt den Konjunkturverlauf“, sagte Wieland bei der Vorstellung des Jahresgutachtens des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, dem er seit 2013 angehört. Zwar bestünden noch immer Risiken, doch die Lieferketten seien intakt und die Branchen im Lockdown machten nur einen kleineren Teil der Wirtschaftsleistung aus. So rechnet der Sachverständigenrat in diesem Jahr mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 5,1 Prozent. Im kommenden Jahr könnte die Wirtschaft dann wieder um 3,7 Prozent zulegen. „Es ist eine ganz andere Art von Krise als die Finanzkrise“, hob Wieland hervor. Sowohl die Industrieproduktion als auch der Warenhandel hätten sich deutlich schneller erholt als nach der Finanzkrise.
Stützend wirkten Wieland zufolge dabei sowohl die schnelle Reaktion in der Geldpolitik als auch die immensen fiskalischen Hilfsmaßnahmen wie beispielsweise Kurzarbeit, Überbrückungshilfen, Kredite und Steuererleichterungen . Ein Volumen von 1,35 Billionen Euro umfasst das Notfallkaufprogramm PEPP, das die Europäische Zentralbank (EZB) Mitte März ankündigte und bei dem sie im Juni noch einmal nachlegte. Das Konjunkturpaket der Bundesregierung dürfte die Wirtschaftsleistung nach Berechnungen des Sachverständigenrats in diesem Jahr um 0,7 bis 1,3 Prozent erhöhen. Bis jetzt hätten Unternehmen sogar nur ein kleineren Teil der Corona-Hilfen in Anspruch genommen. Im EU-Aufbaufonds sieht Wieland zudem die Chance, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen.
Die Hilfsmaßnahmen seien jedoch nicht immer zielgenau, sagte Wieland. „Eine Senkung der Stromsteuer und eine Ausweitung des steuerlichen Verlustvortrags wären sinnvoller gewesen als die Umsatzsteuersenkung“. Auch Steuererhöhungen oder eine Vermögensabgabe seien der völlig falsche Weg. „Wir können über das Wirtschaftswachstum aus den Schulden herauswachsen.“ Denn der Anstieg der Schulden sei weniger hoch als nach der Finanzkrise. So rechnet der Sachverständigenrat damit, dass die Schuldenquote von 58,7 Prozent 2019 im laufenden Jahr auf 72,1 Prozent steigt. Für 2021 prognostiziert der Sachverständigenrat einen leichten Rückgang auf 71,1 Prozent. Um auf zukünftige Krisen angemessen reagieren zu können, sei es jedoch notwendig, geld- und fiskalpolitische Maßnahmen nach der Krise auch wieder zurückzufahren, sagte Wieland weiter. „Die EZB sollte deshalb im kommenden Jahr eine Ausstiegsstrategie aus der lockeren Geldpolitik kommunizieren und zeigen, wie sie die Anleihebestände wieder reduzieren will.“
Zum Jahresgutachten 2020/21 des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
24.06.2020
Prof. Volker Wieland, IMFS
“Corona-Krise: Konjunkturausblick und wirtschaftspolitische Maßnahmen”
Drastische Einbußen in der Industrieproduktion, wesentlich stärker als in der Finanzkrise, ein nie dagewesener Einbruch des Konsumentenvertrauens, sinkende Wirtschaftsleistungen, ob in Deutschland, im Euroraum oder in China. Ausgehend von aktuellen Daten aus der Corona-Krise hat Prof. Volker Wieland beim IMFS Policy Webinar einen Überblick über die konjunkturelle Lage in Deutschland gegeben und die wirtschaftspolitischen Maßnahmen analysiert.
Am Vortag hatte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, zu dessen Mitgliedern Wieland seit 2013 gehört, seine Konjunkturprognose für Deutschland für dieses Jahr auf -6,5 Prozent gesenkt, während er für das kommende Jahr ein Wachstum von 4,9 Prozent erwartet. Für den Euroraum prognostizieren die Ratsmitglieder im laufenden Jahr einen Rückgang um 8,5 Prozent. „Erst 2022 ist damit zu rechnen, dass wir wieder das Vorkrisenniveau erreichen“, sagte Wieland in seinem virtuellen Vortrag. Weil die Entwicklung im Euroraum und in den Vereinigten Staaten schlimmer ausgefallen sei, als zunächst absehbar, sei die Konjunkturprognose niedriger ausgefallen als das Risikoszenario, von dem der Sachverständigenrat im März ausgegangen war, als kaum Daten zu den Auswirkungen des Coronavirus vorlagen.
Während die Pandemie inzwischen in Europa rückläufig ist und sich der Schwerpunkt in andere Regionen verlagert, deuten Echtzeitdaten auf eine allmähliche Erholung hin, wie Wieland sagte. Seit Anfang Mai zeige der Index für Lkw-Fahrleistungen wieder nach oben und auch der Stromverbrauch nehme weiter zu, nachdem er zwischenzeitlich etwa in Italien um bis zu 80 Prozent eingebrochen war. Um die Erholung zu stützen, hat die Bundesregierung bereits 353 Milliarden Euro an haushaltswirksamen Maßnahmen und 819 Milliarden Euro an Darlehen und Garantien beschlossen – laut Wieland etwa 33 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Deutschland und Italien seien demnach die Länder im Euroraum mit den größten fiskalischen Stützungsmaßnahmen. Ausschlaggebend für den gegenwärtigen Aufwärtstrend sei dies jedoch nicht. „Der Haupteffekt im zweiten Quartal kommt durch die Lockerungen, nicht durch das Konjunkturpaket“, so Wieland. Den weiteren Verlauf der Erholung sieht er demzufolge auch gekoppelt an den Grad der Einschränkungen, die Unsicherheit und die Einkommenseinbußen.
Mit dem Notfallkaufprogramm PEPP habe auch die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Beitrag in der Krise geleistet. Erst Anfang Juni hatte die EZB eine Aufstockung des Anleihekaufprogramms um 600 Milliarden Euro auf insgesamt 1,35 Billionen Euro beschlossen. Wichtig sei, diese Maßnahmen auch nach der Krise wieder zurückzufahren. „Das PEPP-Programm war nicht auf Dauer angelegt, da muss man die EZB dann auch beim Wort nehmen“, mahnte Wieland.
Auf europäischer Ebene könnten die Mitgliedstaaten etwa auf das im April beschlossene Paket über 540 Milliarden Euro zurückgreifen oder auch eine Kreditlinien beim Stabilitätsmechanismus ESM beantragen. Mit einem hohen Anstieg der Verschuldung rechnet Wieland in jedem Fall. Entscheidend sei, schon jetzt an die Zukunft zu denken. „Wir müssen sehen, wie wir aus der Verschuldung wieder herauswachsen und eine Vergemeinschaftung von Schulden ohne Kontrolle über die Ausgaben vermeiden.“
19.05.2020
Philip Lane, European Central Bank
Vitor Gaspar, International Monetary Fund; Elga Barsch, Blackrock; Francesco Giavazzi, Bocconi University; Volker Wieland, IMFS
“Economic Outlook in the Coronavirus Pandemic and Policy Responses”
Video (Youtube)
Slides Philip Lane
Slides Vítor Gaspar
Slides Volker Wieland
Da das Coronavirus die gesamte Wirtschaftstätigkeit prägt und auch die Geldpolitik beeinflusst, konzentrierte sich das IMFS Policy Webinar am 19. Mai auf die Pandemie und die angemessenen politischen Reaktionen.
Bei der Online-Veranstaltung an dem Tag, an dem ursprünglich die Konferenz „Die EZB und ihre Beobachter“ angesetzt war, erläuterte EZB-Chefvolkswirt Philip Lane die aktuelle Geldpolitik der EZB und wies darauf hin, dass die Ankündigung des PEPP-Programms die Verschärfung der finanziellen Bedingungen erfolgreich gestoppt und zu einer teilweisen Trendwende beigetragen hat. In seiner Präsentation machte er deutlich, dass die EZB „voll und ganz darauf vorbereitet ist, unsere Instrumente weiter anzupassen, wenn dies gerechtfertigt ist“. Dazu gehöre, so Lane, die Aufstockung des PEPP und die Anpassung seiner Zusammensetzung, und zwar so weit und so lange, wie es nötig sei.
Mit Blick auf die Finanzpolitik erläuterte Vítor Gaspar vom Internationalen Währungsfonds den starken Anstieg der Verschuldung infolge der Korona-Krise. Nach Berechnungen des IWF wird sich die öffentliche Verschuldung in 17 fortgeschrittenen Volkswirtschaften im Jahr 2020 auf 122 Prozent des BIP belaufen. Nach Ansicht von Elga Bartsch ist „zum ersten Mal die Finanzpolitik am Steuer“. Ihrer Ansicht nach ist die spontane Koordinierung zwischen Finanz- und Geldpolitik eine politische Revolution. Andererseits warnte Bartsch, die Leiterin der Abteilung für Wirtschafts- und Marktforschung bei Blackrock ist, vor einer Verwischung der Grenzen, die zu einem Ausrutscher führen könnte. „Die Koordinierung hat keine klaren Ausstiegsstrategien“. Sie wies darauf hin, dass dies zu fiskalischem Druck führen könnte. Francesco Giavazzi von der Bocconi-Universität war ebenfalls davon überzeugt, dass „wir aus der Coronavirus-Pandemie mit viel öffentlichem und privatem Kapital hervorgehen werden“. Er empfahl eine Kombination aus einer Reduzierung der Staatsausgaben und einer Senkung der Steuern als politische Reaktion. Seiner Ansicht nach werden die Länder gewinnen, die eine Umverteilung zulassen“.
Schließlich erläuterte Volker Wieland die Situation in Deutschland. Er stimmte zu, dass „die Steuerpolitik die erste Verteidigungslinie ist“. Maßnahmen wie die Kurzarbeit halfen den Arbeitnehmern, in ihren Unternehmen zu bleiben, anstatt gleich entlassen zu werden. Da die Konjunkturprognosen jedoch immer schlechter ausfallen, so Wieland, „sind die Strategien zur Lockerung der Sperre der Schlüssel“ zur wirtschaftlichen Erholung.
17.04.2020
Prof. Harald Uhlig, University of Chicago
“COVID19 und VWL: Was die ökonomische Sicht beiträgt”
Was die ökonomische Sicht in der Coronakrise beitragen kann, erläuterte Prof. Harald Uhlig im IMFS Policy Webinar. Dabei gab er einen Überblick über aktuelle Forschungsarbeiten zur Coronakrise und forderte die Regierung auf, umgehend eine Taskforce aus Experten unterschiedlicher Disziplinen einzurichten.
Um die Herausforderungen der Coronakrise zu bewältigen, hält Prof. Harald Uhlig von der Universität Chicago die Einrichtung einer nationalen Taskforce aus mindestens 50 Experten verschiedener Fachrichtungen für unerlässlich. Was die Volkswirtschaftslehre dazu beitragen kann, erläuterte er in einem IMFS Policy Webinar am 17. April.
Uhlig warnte, die momentane Situation könnte sich weiter verschlimmern. Angesichts des wirtschaftlichen Einbruchs, einer möglichen Gefährdung des Bankenssystems, der Überlastung des Gesundheitssystem und letztlich des drohenden Zusammenbruchs der Gesellschaft könne die volkswirtschaftliche Perspektive bei schwierigen Vorhersage- und Allokationsproblemen helfen. „Die Kompetenz der VWL liegt dabei in der Datenanalyse und dem Umgang mit dynamischen Modellen“, sagte Uhlig und gab einen Überblick über neueste Forschungsarbeiten zu COVID19 aus ökonomischer Sicht.
So haben die Forscher Jesús Fernandez-Villaverde und Chad Jones auf der Basis eines von Epidemiologen häufig genutzten Modells die Entwicklung der Todeszahlen für Italien bei unterschiedlicher Dauer eines Lockdowns geschätzt. Uhlig selbst ist in einem neu veröffentlichten Forschungspapier der Frage nachgegangen, wie Menschen bei einer Öffnung nach dem Lockdown das eigene Verhalten ändern. Zusammen mit Dirk Krueger von der Universität von Pennsyvania und Taojun Xie von der Universität Singapur kommt er zu dem Schluss, dass Personen, die das Ansteckungsrisiko fürchten, ihr eigenes Verhalten entsprechend anpassen. „Sie essen dann ihre Pizza lieber zuhause als im Restaurant oder schauen sich ein Fußballspiel eher im Fernsehen an als im Stadion“. Diese Verschiebung hin zu Niedrig-Infektionsgütern könne helfen, den Einbruch der Wirtschaft zu verhindern, und führe zu sektoralen Verschiebungen auf dem Arbeitsmarkt. "Dann wechselt der Kellner aus dem Restaurant zum Pizza-Lieferdienst“.
Andere Forscher setzten sich damit auseinander, wie stark die Politik in der Coronakrise eingreifen sollte: Die Ökonomen Fernando Alvarez, David Argente und Francesco Lippi vergleichen in ihren Berechnungen die Zahl der Coronatoten mit dem Ausmaß des Wirtschaftseinbruchs. Michael Greenstone und Visham Nigam von der Universität Chicago haben ausgerechnet, dass der Erhalt des Lebens in den Vereinigten Staaten durch „Social Distancing“ einen Wert von 8.000 Milliarden Dollar hat. Die unterschiedlichen Präferenzen der Menschen standen für die Forscher Andy Glover, Jonathan Heathcote, Dirk Krueger und Victor Rios-Rull im Vordergrund. Sie gingen der Frage nach, wie viel Lockdown die Menschen – abhängig von Alter und Beruf – unterstützen. In einem Forschungspapier der Ökonomen Veronica Guerrieri, Guido Lorenzoni, Ludwig Straub und Ivan Werning stand dagegen die Coronakrise als keynesianischer Angebotsschock im Mittelpunkt.
Uhlig appellierte dringend an die Bundesregierung, die Expertise aus der Volkswirtschaftslehre zu nutzen und gemeinsam mit den Erkenntnissen aus Krankenhäusern, Unternehmen und weiteren wissenschaftlichen Disziplinen in einer Taskforce zu bündeln, die wiederum in weitere Arbeitsgruppen aufgespalten werden sollte.
CEPR Discussion Paper 14607 Dirk Krueger, Harald Uhlig, Taojun Xie: "Macroeconomic Dynamics and Reallocation in an Epidemic"
16.04.2020
Prof. Dr. Veronika Grimm, Universität Erlangen-Nürnberg und Sachverständigenrat
“Der Weg aus dem Corona-Shutdown: Eine risikoadaptierte Strategie”
Wie eine schrittweise Lockerung der aktuellen Beschränkungen durch die Corona-Pandemie aussehen könnte, erläuterte Prof. Veronika Grimm in einem IMFS Policy Webinar am 16. April.
Noch gilt die Kontaktsperre und mehr als 725.000 Unternehmen haben Kurzarbeit angemeldet, doch viele Geschäfte dürfen bald wieder öffnen und die ersten Schüler bereiten sich auf ihre Rückkehr in ihre Klassenzimmer vor. Die Beschränkungen in Wirtschaft und Gesellschaft durch die Coronakrise haben Deutschland in weiten Teilen lahmgelegt. Wie eine Strategie für eine schrittweise Öffnung aussehen könnte, erläuterte Veronika Grimm von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg in einem IMFS Policy Webinar. Flexibilität sei dabei ein entscheidender Faktor. „Wenn die Infektionszahlen aus dem Ruder laufen, hat man nicht zwei oder drei Wochen Zeit, um darauf zu reagieren“, sagte die Professorin für Wirtschaftstheorie – seit April vorgeschlagenes Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – , die in einer interdisziplinären vierzehnköpfigen Forschergruppe ein Positionspapier für eine risikoadäquate Ausstiegsstrategie erarbeitet hat.
Im gegenwärtigen Stillstand durch die Corona-Pandemie seien verschiedene Dimensionen von Bedeutung: der Druck auf die Wirtschaft, soziale Härten und medizinische Folgen. Die Frage, wo wann und wie wieder gearbeitet werden kann, sei deshalb multidisziplinär zu beantworten. Grimm setzt sich daher für die Einführung von Taskforces ein, in denen Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen auf Länderebene und national zusammenarbeiten. Solche Taskforces müssten etwa die Auswirkungen von Lockerungen beobachten und immer wieder neu überlegen, welche Reaktion angebracht sei. Eine Empfehlung einer Taskforce erleichtere es auch Entscheidungsträgern, ihr Handeln in der Öffentlichkeit zu begründen. Regional unterschiedliche Strategien sind nach Einschätzung von Grimm wegen der unterschiedlichen Infiziertenzahlen oder dem Angebot an Intensivbetten angemessen. „Wichtig aber wären Regeln, die sich an Indikatoren orientieren, um die Unsicherheit zu minimieren“, betonte sie.
Auch aus Unternehmenssicht seien vor allem klare Rahmenbedingungen und ein gewisser Vorlauf notwendig. „Man kann umso mehr lockern, je weiter die vorbereitenden Maßnahmen fortgeschritten sind“, sagte Grimm. Entscheidende Kriterien seien dabei neben dem Ansteckungsrisiko und den Risikogruppen die Bedeutung der Öffnung eines Bereichs für Wirtschaft und Gesellschaft und die Umsetzungsmöglichkeit von Schutzmaßnahmen. Sehr viel hänge von der Zahl derjenigen ab, die asymptomatisch infiziert seien, also keine Anzeichen zeigen, aber die Coronaviren weitergeben können.
Ein wichtiges Instrument ist Grimm zufolge die schnellstmögliche Digitalisierung des Gesundheitswesens. In den Gesundheitsämtern werde noch zum großen Teil per Telefon und Fax gearbeitet, was die Informationsabläufe unnötig verzögere. Auch app-basierter Konzepte zum Infektionsschutz könnten einen großen Schritt darstellen, wenn sie von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert würden. Ein langer, kompletter Stillstand, auch um weitere Infektionswellen zu vermeiden, sei derzeit nicht absehbar. „Wir müssen also noch sehr lange mit Schutzmaßnahmen leben und so schnell wie möglich mehr über das Virus lernen“, folgert Grimm.
Zum Positionspapier
08.04.2020
Prof. Volker Wieland, IMFS
“Sondergutachten: Die gesamtwirtschaftliche Lage angesichts der Corona-Pandemie”
Mit welchen wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu rechnen ist, zeigte Prof. Volker Wieland in einem IMFS Policy Webinar am 8. April, in dem er auch live auf die Fragen der Zuschauer einging.
Angesichts der Corona-Pandemie droht der deutschen Wirtschaft im zweiten Quartal eine größere Rezession als während der Finanzkrise 2009. Welche Auswirkungen dies haben könnte, präsentierte Prof. Volker Wieland in einem Live-Webinar am 8. April, in dem er die verschiedenen Szenarien aus dem Sondergutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vorstellte. Demnach wären ein fünfwöchiger Shutdown und eine dreiwöchige Erholungsphase noch zu überbrücken. „Aber es sieht momentan nicht so aus, als ob wir damit hinkämen“, warnte Wieland. Im Vergleich zu Ende März, als das Sondergutachten veröffentlicht wurde, habe vielmehr das Risikoszenario mit einem ausgeprägten V an Wahrscheinlichkeit gewonnen.
Die Corona-Pandemie betrifft gleichermaßen die Angebots- wie die Nachfrageseite: Während auf der einen Seite die Lieferketten unterbrochen sind und z.B. Vorleistungen aus China für chemische Erzeugnisse und im Maschinenbau erschwert werden, haben die Quarantänemaßnahme andererseits die Nachfrage nach Diensleistungen wie Reisen, Veranstaltungen oder in der Gastronomie reduziert. Klassische Konjunkturpakete sind daher nach Einschätzung von Wieland nicht angebracht. „Es geht nicht darum die Nachfrage zu stimulieren, sondern die Kapazitäten durch Kredite oder Liquiditätshilfen zu erhalten“. Falsch wäre aus seiner Sicht auch eine Vermögensabgabe, die vor allem mittelständische Unternehmen träfe. „Damit würden alle Hilfsmaßnahmen konterkariert“, warnte er. Stattdessen forderte Wieland, dringend eine Ausstiegsstrategie zu diskutieren. „Wir müssen Gesundheitsregeln etablieren, mit denen die Produktion in der Wirtschaft wieder hochgefahren werden kann“. Hilfreich könnte im Ausstiegsprozess auch eine Taskforce mit Experten aus verschiedenen Disziplinen sein.
Strikt wandte sich Wieland gegen die Forderungen nach sogenannten Corona-Bonds, gemeinsame Schuldpapiere der Eurostaaten, die mit einer gesamtschuldnerischen Haftung verbunden wären ohne Einflussmöglichkeit auf die Ausgaben. Dies könnte bei den Mitgliedstaaten noch zu viel Streit führen, warnte Wieland. Er empfahl vielmehr, auf bereits bestehende Institutionen wie dem ESM zurückzugreifen. Das Stigma, das Länder wie Italien bei einer Inanspruchnahmne von Kreditlinien beim ESM fürchteten, ließe sich ausschalten, indem etwa gleich mehrere Länder darauf zurückgreifen würden. Die Interventionen der Europäischen Zentralbank, die am 18. März das PEPP-Programm angekündigt hat, sind Wieland zufolge lediglich als temporäre Unterstützung zu bewerten. Die EZB sei in Vorleistung gegangen und könne die Risikoprämien der Länder bestenfalls über eine gewisse Zeit verringen.