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2022

30.03.2022

Volker Wieland, IMFS
Aktualisierte Konjunkturprognose für die Jahre 2022 und 2023

Video (Youtube)

In einer seit der Veröffentlichung des Jahresgutachtens 2021/22 völlig veränderten Situation stellte Prof. Volker Wieland im Rahmen eines IMFS-Politik-Webinars am 30. März 2022 die neue Konjunkturprognose des Sachverständigenrates vor. Im Mittelpunkt stand die aktualisierte Prognose vor dem Hintergrund des starken Anstiegs der Energiepreise und des russischen Angriffs auf die Ukraine.

Laut Wieland deuteten die Indikatoren im November noch auf eine robuste Weltwirtschaft hin. „Wir hatten eigentlich mit einem Rückgang der Versorgungsengpässe gerechnet, aber jetzt zeigen die Versorgungskosten schon wieder einen deutlichen Anstieg.“ Er fügte hinzu, dass die Triebkräfte der Inflation vielfältig seien; im Euroraum sei der Anstieg der Inflation vor allem auf die Energiepreise zurückzuführen. Diese waren bereits vor dem Ukraine-Krieg deutlich gestiegen, aber infolge des Angriffs kam es erneut zu einem starken Anstieg. Die wirtschaftlichen Aussichten haben sich infolge des Krieges deutlich verschlechtert. Der Sachverständigenrat rechnet nun mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 1,8 Prozent im Jahr 2022 und von 3,6 Prozent im Jahr 2023, wobei eine Erholung bestenfalls in der zweiten Jahreshälfte zu erwarten ist. „Wir rutschen also noch weiter hinter das Niveau von 2019 zurück“, sagte Wieland. Ein Lieferstopp oder Embargo für russisches Gas sei in den Prognosen noch nicht berücksichtigt worden.

Was die Inflation betrifft, so erwartet der Sachverständigenrat für 2022 einen Anstieg der Inflationsrate auf 6,1 Prozent, und für 2023 liegt die Prognose bei 3,4 Prozent - eine massive Revision nach oben. Dies sei zwar in erheblichem Maße auf die Energiepreise und die gestiegenen Lebensmittelpreise zurückzuführen, aber auch die Kerninflation steige deutlich an, sagte er.  „Die Kerninflation trägt die Inflation im kommenden Jahr, weil auch die Löhne steigen werden“, warnte Wieland. Aufgrund des Arbeitskräftemangels bestehe ein Druck, die Löhne zu erhöhen oder zumindest anzupassen.

Der Sachverständigenrat wolle nicht nur eine Prognose vorlegen, sondern eine ganz klare wirtschaftspolitische Schlussfolgerung ziehen, sagte Wieland. „Wir müssen jetzt alle Register ziehen, um uns auf das Risiko deutlich höherer Energiepreise oder eines Lieferstopps oder Embargos vorzubereiten.“ Die Erdgaspreise in Europa und Asien seien im Jahr 2021 bereits deutlich angestiegen. „Wenn wir jetzt versuchen, russisches Gas durch LNG zu ersetzen, wird das natürlich sehr teuer werden. Die hohe Abhängigkeit Europas von russischen Rohstoffen beschränke sich nicht nur auf die Gasimporte, die etwa die Hälfte der Lieferungen ausmachten, sagte er. Auch bei Steinkohle und zu 30 Prozent bei Erdöl bestehe eine Abhängigkeit von russischen Importen, sagte er. Die Hauptnachfrage nach Erdgas in Deutschland kommt von der Industrie, auf die 2021 37 Prozent des Erdgasverbrauchs in Deutschland entfielen. Auf die Haushalte entfielen 31 Prozent des Gesamtverbrauchs, 13 Prozent wurden in Gewerbe, Handel und Dienstleistungen verbraucht und weitere 13 Prozent gingen an die Stromversorger.

„Leider sind die Erdgasspeicher derzeit auf einem historischen Tiefstand“, so Wieland. Wärmepumpen können im Laufe eines Sommers nicht massiv ausgebaut werden, also bleibt die Frage: Wie gehen wir mit dem Angebot um? Laut Wieland können LNG-Importe allein nicht die Lösung sein, da LNG-Terminals erst noch gebaut werden müssen. Weitere wichtige Punkte sind nach Wielands Ansicht die Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken und die Wiederinbetriebnahme kürzlich abgeschalteter Kernkraftwerke.

Der Sachverständigenrat hat auf der Grundlage von Studien von Institutionen wie der EZB, Banken und Wissenschaftlern sowie eigenen Berechnungen zu einem erneuten Anstieg der Öl- und Gaspreise untersucht, wie sich ein Lieferstopp von russischem Gas oder ein Embargo auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirken würde und rechnet mit einem weiteren Rückgang des BIP um drei bis fünf Prozent. „Dann würden wir in diesem Jahr in eine tiefere Rezession geraten. Außerdem hätten wir eine viel höhere Inflation, zwischen 8 und 9 Prozent. Unsere Schlussfolgerung ist also, dass jetzt alles getan werden muss, um sich so gut wie möglich auf einen Lieferstopp vorzubereiten.“