2022
11.07.2022
IMFS-CFS Special Lecture
Dr. Joachim Nagel, Präsident, Deutsche Bundesbank
"Digitaler Euro - Chancen und Risiken?"
Wie in einer zunehmend digitalisierten Welt ein digitaler Euro die Ankerfunktion von Zentralbankgeld sichern kann und welche Chancen und Risiken dabei bestehen, erläuterte Bundesbankpräsident Dr. Joachim Nagel in einer Special Lecture des Center for Financial Studies (CFS) und des Institute for Monetary and Financial Stability (IMFS). In seinem Vortrag am 11. Juli auf dem Campus Westend hob Nagel vor allem die Möglichkeiten hervor, die ein digitalen Euro sowohl Privatpersonen als auch Unternehmen eröffnen könnte. Im Alltag könnte der digitale Euro einfaches Bezahlen ermöglichen – „so wie wir es vom Bargeld her kennen, nur eben digital“ und im stationären Handel wie auch online einsetzbar sein. Aber auch bargeldlose Zahlungen zwischen Privatpersonen untereinander oder bei öffentlichen Stellen wären möglich.
Im Zahlungsverkehr innerhalb Europas könnte ein digitaler Euro Nagel zufolge „den Fortschritt unterstützen und die Souveränität Europas erhöhen“. Bisher existiere keine einheitliche, grenzüberschreitende Lösung für Zahlungen im eCommerce oder mit Karte für den Euroraum, die auf europäischer Infrastruktur aufbaue. Mit einem digitalen Euro könnten digitale Zahlungen unabhängig von nichteuropäischen Infrastrukturen im Zahlungsverkehr ausgeführt werden, sagte Nagel weiter. „So ließen sich Risiken und Abhängigkeiten im Zahlungsverkehr reduzieren. Das käme auch der Finanzstabilität zugute.“
Angesichts häufig angeführter Nachteile wie der Gefahr eines Bank Run oder einer strukturellen Disintermediation - wenn Bankkunden einen erheblichen Teil ihrer Bankeinlagen von ihrem Girokonto in digitales Zentralbankgeld umschichten -, mahnte Nagel zur Umsicht. „Falls es zu einer Einführung kommt, wird es also darum gehen, den digitalen Euro zunächst so zu konzipieren, dass mögliche Risiken beherrschbar bleiben.“ Aus Nagels Sicht überwiegen jedoch die positiven Aspekte: „In meinem Augen sollten wir die Chancen nutzen, die sich mit digitalen Zentralbankgeld bieten. Es hat große Potenziale.“
In der fortschreitenden Digitalisierung ist die Einführung eines digitalen Euro Nagel zufolge auch aus geld- und währungspolitischer Sicht eine wichtige Maßnahme. „Digitales Zentralbankgeld könnte so ein wichtiger Baustein dafür sein, dass staatliches Geld auch in einer zunehmend digitalisierten Wirtschaft weiter als Anker für alle auf Euro lautenden Geldformen fungiert.“
Die Diskussion über einen digitalen Euro ist auch als Antwort der Währungshüter auf die Entwicklung sogenannter Kryptowährungen wie Bitcoin und Ether zu verstehen. Denn im Gegensatz zu Kryptowährungen könnte bei einem digitalen Euro auch in der digitalen Welt privates Geschäftsbankengeld in Zentralbankgeld getauscht werden.
Die Zentralbanken des Eurosystem prüfen seit einiger Zeit die mögliche Einführung einer digitalen Variante der Gemeinschaftswährung. Im Juli 2021 gab die Europäische Zentralbank (EZB) dabei den Startschuss für eine zweijährige Untersuchungsphase, in der Fragen zu Technologie und Datenschutz geklärt werden. Im Eurosystem sind laut Nagel derzeit eine Online-Variante, über die Zahlungen durch eine Drittpartei abgewickelt werden, und eine Offline-Variante, bei der Zahlungen direkt von Person zu Person erfolgen, als mögliche Gestaltungsformen identifiziert. Über die generelle Einführung soll im Herbst 2032 entschieden werden.
In diesem Zusammenhang hob Nagel auch die Forschung des CFS und IMFS zu aktuellen Entwicklungen im Finanzsystem hervor. „Um die Stabilität des Finanzsystems weiterhin bestmöglich zu gewährleisten, ist die Zusammenarbeit von Zentralbanken und State-of-the-art-Forschungsinstituten von großer Bedeutung.“ Die Bundesbank sei glücklich, gleich mehrere davon in direkter Nachbarschaft zu haben.
Zur Rede von Bundesbankpräsident Dr. Joachim Nagel
30.05.2022
IMFS Distinguished Lecture
Christopher Waller, Member of the Board of Governors, Federal Reserve System
"The Economic Outlook and Some Thoughts on a Soft Landing"
Die US-Notenbank schließt weitere Zinserhöhungen um 50 Basispunkte nicht aus. Bei seiner IMFS Distinguished Lecture am 30. Mai erklärte Fed-Gouverneur Christopher Waller, dass die Mitglieder des Offenmarktausschusses der US-Notenbank (FOMC) entschlossen sind, die Inflation wieder in Richtung zwei Prozent zu senken. „Es ist die Aufgabe des FOMC, unser Mandat zur Preisstabilität zu erfüllen und die Inflation zu senken, und wir sind entschlossen, dies zu tun“.
Waller zufolge führt die Kombination aus starker Verbrauchernachfrage und Angebotsengpässen - sowohl Engpässe als auch ein Mangel an Arbeitskräften im Verhältnis zur Nachfrage nach Arbeitskräften - zu einer sehr hohen Inflation. „Sobald die Inflationserwartungen auf diese Weise nicht mehr verankert sind, ist es sehr schwierig und wirtschaftlich schmerzhaft, sie zu senken“, warnte er.
Die Inflation in den Vereinigten Staaten, gemessen am bevorzugten Indikator der Fed, dem PCE-Preisindex, wurde zuletzt mit einem Anstieg von 6,3 Prozent für dieses Jahr angegeben. Der Verbraucherpreisindex (CPI) stieg im April im Jahresvergleich um 8,3 Prozent. Im März hatte die Fed ihren Leitzins zum ersten Mal seit Ende 2018 um 25 Basispunkte auf 0,25 bis 0,5 Prozent angehoben. Anfang Mai folgte dann eine einstimmige Anhebung um einen halben Prozentpunkt auf die neue Zinsspanne von 0,75 bis 1,00 Prozent. Die Vertreter der Fed signalisierten, dass sie weitere kräftige Schritte nach oben unternehmen würden, um die Inflation in Schach zu halten.
In seinem Vortrag trat Waller Befürchtungen entgegen, dass weitere Zinserhöhungen zu Verzerrungen auf dem Arbeitsmarkt führen könnten. Zu diesem Zweck griff er auf das Konzept der Beveridge-Kurve zurück, die die negative Beziehung zwischen der Arbeitslosenquote und der Zahl der freien Stellen beschreibt. Die Kurve ist im Allgemeinen abwärts geneigt, was bedeutet, dass die Zahl der freien Stellen tendenziell höher ist, wenn die Arbeitslosenquote niedriger ist, und umgekehrt.
Waller wies darauf hin, dass die derzeitige Situation einzigartig sei, da die Zahl der unbesetzten Stellen ein Rekordniveau erreicht habe. „Wir haben noch nie eine Leerstandsquote von 7 Prozent erlebt. Durch die COVID-19-Pandemie hat sich die Beveridge-Kurve jedoch in noch nie dagewesener Weise verschoben. „Eine Senkung der Leerstandsquote um 2,5 Prozentpunkte würde sie immer noch auf dem Niveau vom Ende des letzten Aufschwungs belassen, während in früheren Aufschwüngen eine Senkung um 2,5 Prozent die Leerstandsquote bei oder unter 2 Prozent belassen hätte, einem Niveau, das nur bei extrem schwachen Arbeitsmärkten zu beobachten war“. Waller zeigte sich daher optimistisch, dass weitere Zinsschritte den Arbeitsmarkt nicht bremsen würden.