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2021

11.11.2021

Sumit Agarwal, National University of Singapore
"Illicit Wealth Inflows and House Prices: What can we learn from Panama Papers data?"

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Immobilienmärkte sind besonders häufig Ziel von Geldwäsche. In einem IMFS Policy Webinar am 11. November veranschaulichte Sumit Agarwal, Professor für Finanzen und Immobilien an der National University of Singapore, die Auswirkungen der Geldwäsche auf den Immobilienmarkt am Beispiel Singapurs. Agarwal, Experte für Behavioral Finance und Mitautor mehrerer Lehrbücher, darunter „Kiasunomics“, analysierte, wie sich Personen, deren Namen in den Panama Papers aufgeführt wurden, bei Immobilientransaktionen verhalten haben und untersuchte die Auswirkungen auf die Immobilienpreise.

Jüngste Recherchen vom September 2020, die sogenannten FinCEN Files, zeigten, dass weltweit über zwei Billionen US-Dollar an illegalen Bankguthaben verschoben wurden. Dabei ist dies Agarwal zufolge nur die Spitze des Eisbergs. „Menschen, die in illegale Aktivitäten verwickelt sind, wissen, wie sie ihre Spuren verwischen können. Normalerweise kommt man kaum an die Daten.“

Ausgehend von den in den Panama Papers aufgeführten Namen begann Agarwal mit einem Abgleich der Namen von Personen, die an Immobilientransaktionen beteiligten waren. Dabei kommt dabei laut Agarwal nur ein Bruchteil ans Licht. „Die wirklich cleveren Leute kaufen natürlich nicht in ihrem eigenen Namen, sondern im Namen anderer, z. B. von Familienmitgliedern.“

Agarwal und seine Ko-Autoren nahemen die Preisaufschläge bei Immobilientransaktionen unter die Lupe, die mit verdächtigen Finanzströmen in Verbindung standen, und untersuchten die Kanäle dahinter. Zudem prüften sie, wie sich Gesetzesänderungen zur Eindämmung der Geldwäsche auswirkten.  

Eine durchschnittliche Immobilientransaktion in Singpur beläuft sich auf etwa 2 Millionen Dollar (SGD), erklärte er den Zuhörern. Bei seinen Nachforschungen kommt Agarwal zu dem Schluss, dass Käufer für Immobilien, die von illegalen Transaktionen betroffen sind, einen Aufschlag von 3,8 Prozent zahlen. Diese Aufschläge seien bei Luxusimmobilien noch wesentlich höher. Bei der Geldwäsche kommen mehrere Mechanismen ins Spiel. Da die Käufer einen sicheren Hafen für ihr Geld suchen, steigen die Kaufpreise im Offshore-Vehikel. Lokale Käufer, z. B. Immobilienmakler, agieren zudem als Strohmänner, und die Immobilienwerte insgesamt werden manipuliert. „Die Geldwäsche ist erst abgeschlossen, wenn ich die Immobilie wieder verkaufe und das Geld aufs Bankkonto lege oder für andere Aktivitäten verwende", erklärte Agarwal.

Indem er verschiedene Variablen wie die Heimatländer der Käufer oder den Beschäftigungsstatus miteinbezieht, berechnet Agarwal enorme Auswirkungen der Geldwäsche auf den Immobilienmarkt: Die Kaufpreise anderer Apartments im selben Gebäude stiegen um 5,1 Prozent, die Preise in der gleichen Nachbarschaft lagen sogar um 7,3 Prozent höher. Den Gesamtwert des illegalen Vermögens auf dem Wohnungsmarkt Singapurs schätzt Agarwal auf etwa 3,72 Milliarden Dollar.

10.11.2021

Volker Wieland, IMFS und Sachverständigenrat
“Transformation gestalten: Bildung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit”

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Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sieht Deutschland vor großen Herausforderungen: die Auswirkungen der Corona-Pandemie, die Transformation der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität und parallel dazu die Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung. In einem IMFS Policy Webinar am 10. November erläuterte Prof. Volker Wieland die wichtigsten Vorschläge dazu aus dem Jahresgutachten 2021/22, das das Gremium an selben Tag in Berlin Kanzlerin Merkel und der scheidenden Bundesregierung übergeben hatte.

Die aktuelle konjunkturelle Entwicklung sieht Wieland dominiert von vielen angebotsseitigen Engpässen. „Einerseits überrascht die schnellere, stärkere Erholung der Weltwirtschaft als vorhergesagt, aber gleichzeitig wird hier die Industrieproduktion ausgebremst durch Engpässe“, fasste Wieland zusammen. Aufgrund von Verschiebungen erwartet der Sachverständigenrat im kommenden Jahr ein kräftiges Wachstum von 4,6 Prozent. Für das laufende Jahr senkte der Sachverständigenrat seine Prognose von 3,1 auf 2,7 Prozent. Dabei mahnte Wieland, die Impfkampagnen global voranzutreiben. Das Risiko erneuter Einschränkungen bestünde weiter. Bei der Inflation gibt der Sachverständigenrat Wieland zufolge eine „mutige Prognose“ für 2022 von 2,6 Prozent in Deutschland und 2,1 Prozent im Euroraum. Die Erholung habe zu einem Anstieg der Rohstoff- und Energiepreise und der Erzeugerpreise geführt, der sich auf die Verbraucherpreise niederschlage. Dabei sieht Wieland das Risiko, dass es längerfristig bei hoher Inflation bleibt – nicht nur aufgrund der lockeren Geld- und Fiskalpolitik, sondern auch aufgrund des Anstiegs der breiten Geldmenge infolge von Kreditprogrammen.

„Transformation gestalten: Bildung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit“ lautet der Titel des mehr als 500 Seiten umfassenden Jahresgutachtens. „Besonders der Bildungsbereich lag uns sehr am Herzen“, sagte Wieland weiter. Wegen der Schulschließungen hätten Kinder deutlich weniger lernen können. Die Bildungsökonomik zeige, dass dies hohe gesamtwirtschaftliche Folge habe. Der Sachverständigenrat macht daher auch Vorschläge, wie sich strukturelle Lern- und Entwicklungsrückstände aufholen lassen.

Der Aspekt der Nachhaltigkeit umfasst im Gutachten sowohl die fiskalische als auch die ökologische Nachhaltigkeit. Aufgrund der demographischen Entwicklung sei es schwieriger, langfristig positives Wachstum zu erzielen, so Wieland. Wichtig sei es, gute Rahmenbedingungen für private Investitionen zu schaffen, da die Investitionen privater Unternehmen deutlich höher lägen als die öffentlichen. An der Schuldenbremse wollen Wieland und seine Kollegin Veronika Grimm daher festhalten. Anders sehen dies die beiden anderen Mitglieder des Sachverständigenrats Monika Schnitzer und Achim Truger. Sie sprachen sich für den Einsatz von öffentlichen Investitionsgesellschaften aus.

Einig ist sich der Sachverständigenrat in der Auffassung zur Geldpolitik. Er fordert, dass die Europäische Zentralbank (EZB) zeitnah eine Exit-Strategie aus der lockeren Geldpolitik kommunizieren sollte. „Die Geldpolitik kann nur vor einer fiskalischen Dominanz beschützt werden, wenn es zu einer Normalisierung der Geldpolitik kommt“, sagte Wieland. Eine fiskalische Dominanz besteht, wenn die Haushaltspolitik der Staaten die Richtung der Geldpolitik vorgibt. „Das Beste, was die Geldpolitik für nachhaltiges Wachstum tun kann, ist die Wahrung der Preisstabilität“, so Wieland.

15.09.2021

Philip R. Lane, European Central Bank
“The ECB's Monetary Policy Strategy Review

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Die Strategieüberprüfung der Europäischen Zentralbank (EZB) stand im Fokus des IMFS Policy Webinars mit Philip R. Lane am 15. September. Der EZB-Chefvolkswirt erläuterte die im Juli veröffentlichten Ergebnisse der Überprüfung. Dabei wurden in 13 Arbeitsgruppen des Eurosystems zentrale Themen wie Inflationsmessung, geldpolitische Instrumente, Beschäftigung oder Digitalisierung analysiert. Während die Ergebnisse in der neuen geldpolitischen Erklärung, einer Übersicht und einem Maßnahmenplan zum Klimawandel zusammengefasst sind, werden weitere Informationen in 18 Occasional Papers verfügbar sein, kündigte Lane an. Die IMFS-Konferenz "The ECB and Its Watchers" vor einem Jahr fand als Veranstaltung mit Wissenschaftlern in der Reihe "Die EZB hört zu" Eingang in den Prozess.

Die Strategieüberprüfung nimmt das Mandat der EZB als Ausgangspunkt. Der EZB-Rat ist an das Mandat der Preisstabilität als Hauptaufgabe gebunden, das in Artikel 127 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union verankert ist. Die ursprüngliche geldpolitische Strategie der EZB wurde 1998 beschlossen und 2003 überarbeitet. Seitdem hat sich die Welt stark verändert, was die Zentralbanken vor zahlreiche neue Herausforderungen stellt, so die EZB in ihrer Erklärung.

Gemäß der neuen Strategie ist der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) nach wie vor die geeignete Messgröße, um zu bewerten, ob das Preisstabilitätsziel erfüllt ist. Der EZB-Rat ist der Ansicht, dass die Preisstabilität am besten gewährleistet ist, wenn mittelfristig ein Inflationsziel von zwei Prozent angestrebt wird. In der früheren Formulierung wurde Preisstabilität im Sinne von "unter, aber nahe zwei Prozent" definiert. Der EZB-Rat hat jedoch beschlossen, die Kosten für selbst genutztes Wohneigentum in den HVPI einzubeziehen. Ein Fahrplan sieht vier Hauptstufen für den Übergang vor.

In Bezug auf die geldpolitischen Instrumente wies Lane darauf hin, dass die Kreditkosten und nicht das Volumen der Ankäufe von Vermögenswerten der beste Indikator für den geldpolitischen Kurs der EZB seien. "Es ist keine gute Idee, den geldpolitischen Kurs mit dem Volumen der Ankäufe von Vermögenswerten gleichzusetzen, da die Verbindung zwischen dem Volumen der Ankäufe von Vermögenswerten und dem geldpolitischen Kurs im Wesentlichen über die Zinsstrukturkurve erfolgt, und wir gehen davon aus, dass die Zinsstrukturkurve weiterhin ziemlich niedrig ist", sagte Lane. In der Vorwoche hatte die EZB beschlossen, die Anleihekäufe moderat zu reduzieren, da sich die Wirtschaft erholt.

Lane betonte auch den überarbeiteten analytischen Rahmen: "Meine persönliche Meinung ist, dass wir am Ende die Analysen zusammenführen müssen. Wir treffen nur eine Entscheidung." Auch die Kommunikation der Zentralbank war eines der Hauptthemen und soll ausgebaut werden. "Wir denken, dass es wichtig ist, mit der breiten Öffentlichkeit zu kommunizieren", sagte Lane. Erste Änderungen in der Zentralbankkommunikation seien bereits zu sehen. "Wir werden größeren Einblick in unsere Hintergrundüberlegungen geben."

Die nun abgeschlossene Strategieüberprüfung wird nicht die letzte in den kommenden Jahren sein. "Es ist wichtig, einen regelmäßigen Überprüfungszyklus zu haben, sonst ist der Beginn einer Überprüfung an sich schon ein Signal", erklärte Lane. Die nächste Überprüfung ist bereits für das Jahr 2025 angesetzt.

Mehr Informationen zur Strategieüberprüfung der EZB

10.06.2021

John Y. Campbell, Harvard University
“Portfolio Choice with Sustainable Spending: A Model of Reaching for Yield”

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Wie Anleger in einer Zeit stark und anhaltend sinkender Realzinsen nach Rendite streben, war die Frage, die Prof. John Y. Campbell in seinem IMFS Policy Webinar am 10. Juni behandelte. Campbell, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Harvard University und renommierter Experte auf dem Gebiet der Finanz- und Makroökonomie, wies darauf hin, dass diese Frage auch von Zentralbankern viel diskutiert werde, da diese Situation Anreize für Anleger schaffen könne, Risiken einzugehen oder zusätzliche finanzielle Hebelwirkung einzusetzen. Die Standard-Finanztheorie sieht jedoch kein Streben nach Rendite vor. „Normalerweise hängt die Risikobereitschaft von der Risikoprämie, dem Risiko und der Risikoaversion ab, nicht aber von den risikofreien Zinssätzen“, so Campbell. Mit Blick auf den Ansatz bei Stiftungen und Staatsfonds fügte Campbell in seiner gemeinsamen Forschung mit Roman Sigalov dem Standardmodell eine nachhaltige Ausgabenbeschränkung hinzu. „Dies bedeutet, dass das Vermögen konstant bleiben soll: Der Anleger kann nicht planen, sein Vermögen abzubauen oder zu vermehren.“ Wie Campbell erklärte, gilt dies auch für Privatpersonen. „Viele Menschen zögern, ihr Vermögen durch Sparen zu verringern, sind aber bereit, Risiken einzugehen“. "Das Streben nach Rendite wird stärker, wenn die Zinsen niedrig sind“.

Normalerweise hängt der risikoreiche Anteil des Portfolios eines Anlegers von der Belohnung für das Eingehen von Risiken und von der Risikoaversion ab, nicht aber vom risikofreien Zinssatz. Campbell untersuchte, ob ein niedrigerer risikofreier Zinssatz oder eine größere Ungeduld dazu führen, dass Anleger heute einen höheren Konsum (niedrigerer Grenznutzen) im Vergleich zum erwarteten zukünftigen Konsum (Grenznutzen) wünschen. Im Standardmodell wird dies durch Sparen erreicht, bei einer nachhaltigen Ausgabenbeschränkung durch das Eingehen von Risiken, was heute höhere Ausgaben ermöglicht, während die negative Konsequenz, der riskantere Konsum, in der Zukunft realisiert wird.

Campbell kommt zu dem Schluss, dass Investoren Risiken eingehen, um den gegenwärtigen Konsum auf Kosten eines volatileren zukünftigen Konsums zu erhöhen. „Das Modell sagt voraus, dass das Streben nach Rendite umso stärker ist, je niedriger der risikofreie Zinssatz ist und je mehr Risiko der Anleger bereit ist, einzugehen.“

27.05.2021

Harald Uhlig, University of Chicago
“Digital Currencies: What Does the Future Hold?”

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Die Entwicklung des Bitcoin-Kurses gleicht einer Achterbahnfahrt. Nachdem im April ein neuer Höchststand von 60.000 US-Dollar erreicht wurde, notiert der Bitcoin Ende Mai bei über 30.000 US-Dollar. Trotz solcher Schwankungen stoßen die digitalen Währungen derzeit auf großes Interesse. In einem IMFS Policy Webinar gab Prof. Harald Uhlig von der University of Chicago einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen in diesem Bereich. Seit der geheimnisvolle Erfinder des Bitcoin, Sakashi Nakamoto, 2008 das Konzept einer digitalen Währung entwickelt hat, sind viele weitere digitale Währungen entstanden. Ethereum, Tether, Ripple oder Litecoin sind nur ein paar weitere Namen auf der Liste der Kryptowährungen. Während Facebook seine Pläne für seine Blockchain-Digitalwährung Libra zurückstutzen musste und von der Schweiz in die USA verlagerte, um die Regulierungsbehörden an Bord zu holen, zeigte sich Uhlig überzeugt, dass dieser Trend weitergehen wird. "Es werden noch mehr Player kommen. Die Technologie ist einfach".

Die Europäische Zentralbank steht dabei noch relativ am Anfang der Gestaltung eines digitalen Euros. Auf den Bahamas und in der Ostkaribik ist dagegen bereits eine digitale Zentralbankwährung (CBDC) in die Praxis umgesetzt. Mit der CBDC sieht Uhlig die Zentralbanken in einem Trilemma. "Von den drei Zentralbankzielen Preisstabilität, Finanzstabilität und Effizienz können die Zentralbanken nur zwei erreichen und müssen sich dann entscheiden, welche."

In seinem Resümee blieb Uhlig optimistisch. In einer sich dramatisch verändernden Währungslandschaft stünden die Zentralbanken im Wettbewerb und müssten handeln. Auf der anderen Seite argumentierte er, dass CBDC den Zentralbanken viele neue Werkzeuge böten, die erprobt werden sollten. "In den vergangenen zehn Jahren, die von negativen Nominalzinsen geprägt waren, saßen die Zentralbanken bei der Untergrenze von Null fest. CBDC bringen neue Möglichkeiten, die Wirtschaft zu stimulieren." Insgesamt sieht Uhlig die Technologie noch in einem Anfangsstadium. “Es gibt viele technologische Möglichkeiten, aber sie sind noch nicht greifbar. Das ist wie beim Aufkommen des iPads.”

19.03.2021

Volker Wieland, IMFS und Sachverständigenrat
“Corona-Krise: Wirtschaftliche Erholung und neue Herausforderungen”

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Während sich die Weltwirtschaft ingesamt gesehen gut entwickelt und auch in Deutschland teilweise eine kräftige Erholung zu verzeichnen ist, ist angesichts der dritten Corona-Ansteckungswelle vor allem die Impfstrategie entscheidend für den weiteren Konjunkturverlauf. So lautet die derzeitige Einschätzung von Prof. Volker Wieland. In einem IMFS Policy Webinar gab Wieland einen Ausblick auf die weitere Wirtschaftsentwicklung und die Herausforderungen, vor denen die deutsche Wirtschaft steht, basierend auf der aktualisierten Konjunkturprognose des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Demnach hat der Welthandel bereits zum Jahreswechsel bereits wieder das Vorkrisenniveau erreicht und das verarbeitende Gewerbe hat sich in den Vereinigten Staaten, in China und im Euroraum kräftig erholt. „Vor allem die Nachfrage nach Konsumgütern und medizinischen Schutzausrüstungen waren die Treiber“. In der Folge sind die Seefrachtkosten bereits deutlich gestiegen und Lieferengpässe machen sich bemerkbar. Für die Vereinigten Staaten und China rechnet der Sachverständigenrat in diesem Jahr mit einem Anstieg des Wirtschaftswachstum um 6,3 bzw. 8,5 Prozent.

Aktuell sieht Wieland schon Auswirkungen auf die Preisentwicklung. „Die Inflation ist zurück und wird auch höher bleiben“. Neben dem Basiseffekt durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer zum Jahreswechsel schlägt Wieland zufolge auch der Anstieg der Ölpreises und der Lebensmittelpreise auf die Preisentwicklung durch.

Für die deutsche Wirtschaft ergibt sich durch die Corona-Beschränkungen eine deutliche Zweiteilung. „Während das verarbeitende Gewerbe über dem Vorkrisennivau liegt, sind die konsumnahen Dienstleistungen stark beeinträchtigt. Ansichts der Risiken der aktuellen dritten Corona-Welle warnt Wieland: „Die Produktion für die Auslandsnachfrage sollte auf jeden Fall erhalten bleibe“. Momentan sieht Wieland die wirtschaftliche Entwicklung auf gutem Weg. „Wir fahren mit 95 Prozent“. Die Schließungen im Handel, in der Gastronomie, bei Veranstaltungen und die Einschränkungen bei Reisen ergeben eine Bruttowertschöpfung von knapp fünf Prozent unter Vorkrisennivau. Im kommenden Jahr rechnet Wieland bereits wieder mit einer vollen Auslastung, für das laufende Jahr erwartet der Sachverständigenrat ein plus von 3,1 Prozent.

Entscheidend für die weitere Entwicklung sei der Verlauf der dritten Corona-Welle. Der Sachverständigenrat hat sich daher für seine Konjunkturprognose intensiv mit verschiedenen Simulationen zum Impffortschritt beschäftigt und setzt auf einen deutlichen Anstieg der Liefermengen im zweiten Quartal. „Wenn die Hausärzte eingebunden wären, könnten demnach bis Mitte September schon genügend Menschen geimpft sein“. Im Vergleich mit Ländern wie Israel oder auch Chile könne Deutschland damit aber nicht punkten. „Wir sind international nicht bei den Besten“.

Die Folgen der Corona-Pandemie zeigen sich unter anderem bei den Insolvenzen und der Schuldenquote. Während die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht 2020 zu einem Rückgang der Firmenpleiten geführt hat, ist nach dem Ende der Ausnahmeregelung mit einem deutlichen Anstieg zu rechnen. Bei der Schuldenstandsquote erwartet der Sachverständigenrat in diesem Jahr eine Zunahme von rund 60 auf etwa 70 Prozent. Für Länder wie Spanien sei sogar mit einem Anstieg auf rund 120 Prozent zu rechnen. Während die Schuldenbremse aufgrund der außergewöhnlichen Notsituation in diesem Jahr außer Kraft gesetzt ist, gibt sich Wieland für das kommende Jahr zuversichtlich. „Wenn der Bund seine Rücklagen nutzt, wäre eine Rückkehr zur Schuldenbremse 2022 wieder möglich“. Das Gute daran: Man müsse sich jetzt noch nicht festlegen.

03.03.2021

IMF-IMFS Webinar
“Negative Interest Rates: Taking Stock of the Experience So Far”

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Slides Gaston Gelos (PDF)
Slides Silvana Tenreyro (PDF)
Slides Jörg Krämer (PDF)

Was sind die Auswirkungen von Negativzinsen und welche Nebeneffekte haben sie? Diese Frage stand im Fokus eines gemeinsamen Webinars von IWF und IMFS, bei dem Ökonomen und Zentralbankbeobachter in einer von Prof. Volker Wieland moderierten Diskussion eine Zwischenbilanz zogen. In einem gemeinsamen Papier mit IWF-Forschern kommt Gaston Gelos, Assistant Director und Leiter der Abteilung Monetary and Macroprudential Policies in der Abteilung Geld- und Kapitalmärkte des Internationalen Währungsfonds, zu dem Schluss, dass es keine Belege für Bargeldhortung gibt. Andererseits beobachtet er eine effektive Übertragung auf die Preise von Vermögenswerten, da die Geldmarktsätze fast eins zu eins reagieren. Seiner Meinung nach stellt die Negativzinspolitik eine kommunikative Herausforderung dar. "Die Notenbanken müssen noch viel lernen". Seiner Einschätzung nach müssen die Zentralbanken deutlich machen, dass sie potenzielle Nebeneffekte überwachen und sollten auch den Unterschied zwischen Nominal- und Realzinsen hervorheben. Gelos zufolge sind weitere Untersuchungen über die Auswirkungen auf Nicht-Banken oder grenzüberschreitende Spillover notwendig.

Silvana Tenreyro, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der London School of Economics, argumentierte, sie sehe keine eindeutigen Beweise, dass negative Zinssätze die Gewinne der Banken insgesamt reduziert hätten. Sie wies darauf hin, dass die Finanzmarktkanäle der Geldpolitik unter negativen Zinssätzen effektiv funktioniert haben und auch die Kanäle für die Kreditvergabe der Banken effektiv waren. Allerdings sei die Kommunikation mit der Öffentlichkeit wichtig, sagte Tenreyro.

Nach Ansicht von Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, hat die Negativzinspolitik nur einen geringen Einfluss auf die Inflation. "Aber im Laufe der Zeit werden die negativen Nebeneffekte immer deutlicher", warnte er. Er geht davon aus, dass die expansive Wirkung mit der Zeit abnehmen wird. "Die Verbraucher können den Konsum nicht ewig vorziehen". Seiner Ansicht nach ist auch die Zombifizierung von Unternehmen ein wichtiger Aspekt. Außerdem warnte er davor, dass die Jagd der institutionellen Anleger nach Rendite in einer Blase enden könnte. Krämer betonte auch die Bedeutung einer Exit-Strategie. "Bevor man die Zinsen anhebt, muss man das Quantitative Easing beenden", was für die Europäische Zentralbank (EZB) schwierig sein werde, sagte Krämer. Er sieht auch die Gefahr, dass es zu Insolvenzen kommt. "Die EZB ist sich dessen bewusst, könnte aber trotzdem zögern, die Zinsen zu erhöhen", schloss er.

25.01.2021

Charles Goodhart, Manoj Pradhan, Peter Praet
"The Great Demographic Reversal. Ageing Societies, Waning Inequality, and an Inflation Revival"

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Warum die Welt auf einen Anstieg der Inflation zusteuert und welche globalen Trends diesen Wandel verursachen, war das Thema des IMFS-Webinars mit Charles Goodhart und Manoj Pradhan zusammen mit Peter Praet am 25. Januar. In ihrem Buch "The Great Demographic Reversal. Ageing Societies, Waning Inequality, and an Inflation Revival" beschreiben Goodhart und Pradhan globale Zukunftstrends, die ihrer Meinung nach einen deutlichen Preisanstieg auslösen.

In der von Volker Wieland moderierten virtuellen Diskussion bezweifelte Peter Praet, ehemaliger Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, dass diese Umkehr in naher Zukunft eintreten wird. Er betonte jedoch die Notwendigkeit, sich auf eine solche Situation vorzubereiten, obwohl er nicht davon überzeugt war, dass die Gesellschaften dazu bereit seien.

Laut Goodhart und Pradhan waren der Aufstieg Chinas, die anschließende Beschleunigung der Globalisierung und die wachsende Zahl der Arbeitnehmer die entscheidenden Faktoren der letzten siebzig Jahre. Während dieser Zeit führte die Integration Chinas zu einem Anstieg der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Verstärkt wurde dies durch eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen. Die Kombination all dieser Faktoren führte zu einem Rückgang der Inflation. Doch wie die britischen Ökonomen feststellten, "wird die Zukunft nicht wie die Vergangenheit sein".

Mit dem Eintritt der so genannten Baby Boomer in den Ruhestand wird die Zahl der Arbeitskräfte in vielen Ländern zurückgehen. Während Arbeiter per Definition disinflationär sind, sind jüngere und ältere Menschen inflationär, wobei die Älteren viel mehr konsumieren als die Jüngeren, erklärte Goodhart. Für die Gesellschaft als Ganzes wird die Alterung nach Ansicht der Autoren zu einem massiven Anstieg der Defizite und der Verschuldung führen. Bereits vor der Coronavirus-Pandemie stellten sie einen exponentiellen Aufwärtstrend der Schuldenquote der öffentlichen Hand fest. Gleichzeitig sagen sie eine bescheidene Produktivität voraus - die Fortsetzung eines globalen Phänomens, das bereits in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften zu beobachten ist.

Auch wenn es abmildernde Faktoren wie Afrika und Indien und die technologische Entwicklung geben mag, ist die Konsequenz klar. Laut Goodhart und Pradhan müssten die Politiker die Steuern erhöhen. "Das ist unattraktiv, also wird es Inflation geben". In ihrem Buch warnen sie vor dieser Entwicklung. "Weder die Finanzmärkte noch die Politik sind auf einen signifikanten Anstieg von Inflation und Löhnen oder einen Anstieg der Nominalzinsen vorbereitet." In Bezug auf die Ungleichheit stellen Goodhart und Pradhan fest, dass die Welt als Ganzes weniger ungleich wird. Ab 2010 begann die weltweite Ungleichheit zu sinken, allerdings beobachten sie, dass die Ungleichheit innerhalb eines Landes stark zugenommen hat.

Praet zollte den Autoren Anerkennung dafür, dass sie ein konkurrierendes Narrativ aufstellten und den Zusammenhang zwischen den demografischen Faktoren und der Inflationsentwicklung in vielen Ländern erkannten. Er warnte, dass die Umkehrung zu einem großen Schock führen könnte - "wenn es plötzlich passiert". Um sich darauf vorzubereiten, forderte er Änderungen im Solvenzrecht, Stresstests und bat darum, die Finanzinstitute widerstandsfähiger zu machen. Andererseits rechnete Praet nicht mit einer unmittelbar bevorstehenden Veränderung.

"In vielerlei Hinsicht ist unser Buch ein Statement, welche Trends wir sehen und was passieren könnte", so Goodhart und Pradhan abschließend. “Die Welt sollte versuchen, bereit zu sein, wenn dies eintritt.”