Der Gleichgewichtszins entspricht dem realen Zinssatz, bei dem das BIP dem Potenzial entspricht und somit das Preisniveau konstant bleibt. Wenn eine Notenbank ein positives Inflationsziel verfolgt, wäre es der Zinssatz, bei dem die Inflation dauerhaft mit der Zielrate übereinstimmt. Der nominale Gleichgewichtszins ist als Summe des realen Gleichgewichtszinses und des Inflationsziels einer Notenbank ein wichtiger Referenzpunkt für die Geldpolitik: Er ist Ausgangspunkt für die Taylor-Regel, die bekannteste geldpolitische Zinsregel. Die Taylor-Regel bestimmt das Zinsniveau am Geldmarkt abhängig vom nominalen Gleichgewichtszins.
In seinem Aufsatz zeigt Wieland mit Bezug auf frühere Untersuchungen mit Robert C.M. Beyer, dass Schätzungen, die zudem meist nur mittel- statt langfristig sind, mit extrem großer Unsicherheit behaftet sind und äußert sensitiv auf veränderte technische Annahmen reagieren. „Diesen Schätzwerten sollte daher kein hohes Gewicht bei richtungsweisenden geld- und fiskalpolitischen Entscheidungen zuteilwerden“, sagt Wieland.
Sollte dennoch Gleichgewichtszinsen in Verbindung mit konsistenten Schätzungen der Output-Lücke eingesetzt werden, zieht Wieland ein abweichendes Fazit für die Geldpolitik. „In diesem Fall weisen solche Regeln trotz des niedrigeren Gleichgewichtszinses auf die Notwendigkeit einer Straffung der Geldpolitik in den Vereinigten Staaten und im Euro-Raum hin.“
Volker Wieland
„Negativzinsen: Geldpolitik oder Gleichgewichtszins?“
In: Monetary Economic Issues Today. Festschrift zu Ehren von Ernst Baltensperger
Schweizerische Nationalbank, Orell Füssli, 2017, S. 289-302