Volker Wieland: Warum die deutsche Wirtschaftspolitik dringend einen Neustart braucht (Münchner Merkur / Frankfurter Rundschau)

Einen Neustart in der Wirtschaftspolitik fordert Prof. Volker Wieland in einem Gastbeitrag im "Münchner Merkur" und der "Frankfurter Rundschau" (Ippen Digital). Emissionen sollten zuerst dort eingespart werden, "wo es am kostengünstigsten ist, statt durch Verbote und Subventionen verteuerte, kleinteilige deutsche Sektorziele zu verfolgen", so Wieland. Den richtigen Weg sieht er nicht im Industriestrompreis, sondern in in einer "Politik, die ausreichend Zeit für die riesigen strukturellen Veränderungen lässt, die auf uns und unsere Wirtschaft zukommen".

Die Vorwürfe der Vetternwirtschaft im moralisch überlegen geführten Bundeswirtschaftsministerium haben sich zu einem Skandal entwickelt, der die Republik bewegt, Karrieren beendet, und die Medienöffentlichkeit vollauf beschäftigt hält. Dabei bereitet das Ministerium nach der Wärmepumpenwende mit dem Industriestrompreis bereits das nächste Milliardengrab vor.

Man hat plötzlich festgestellt, Strom ist knapp und teuer. Dies nachdem man trotz Energiekrise erfolgreich durchgesetzt hat, sechs Kernkraftwerke abzuschalten, die 2021 mit 69 Milliarden Kilowattstunden (kwh) immerhin noch für 12,6 Prozent der Stromerzeugung gut waren. Dies nachdem man weiterhin die Erschließung der deutschen Schiefergasvorkommen verbietet, die groß genug wären, um die bisher bis 2045 eingeplanten Gasimporte aus Russland weitgehend zu ersetzen. 2022 hat man dafür erst mal die Kohleverstromung ausgeweitet. Kohle steht nun für ein gutes Drittel der Stromerzeugung. Das Klima lässt grüßen. Natürlich will man den Ausbau der Sonnen- und Windenergie massiv beschleunigen und ganz viel grünen Wasserstoff herstellen oder importieren. Aber die notwendige Infrastruktur fehlt. Das wird dauern.

Kein Wunder, dass die energieintensiven Bereiche der Industrie die Produktion reduziert haben und diese nun zunehmend ins Ausland verlagern. Ja, so was kommt von so was. Nun soll der Industriestrompreis helfen. Von 6 Cent statt durchschnittlich 26 Cent für industrielle Großkunden ist die Rede. Eine riesige Subvention und ein klarer Anreiz, nur nicht zu viel Strom zu sparen. Je nachdem wie groß der Empfängerkreis ist und wie lang subventioniert wird, geht es zumindest um mittlere zweistellige Milliardenbeträge.  Wie finanzieren? Na, entweder mit höheren Schulden und damit höheren zukünftigen Belastungen für die Steuerzahler, oder schon jetzt die Steuern für profitabel wirtschaftende Unternehmen und Haushaltseinkommen erhöhen. Wenn das nicht läuft, muss man es auf die anderen Stromkunden umlegen – also kleinere Unternehmen und die Haushalte.  

Mit Lob aus der Industrie darf der Minister rechnen. Da gibt es genügend, die von dieser Politik inzwischen so gebeutelt sind, dass sie den Handout begrüßen. Kritik von Wirtschaftswissenschaftlern kann er auf die leichte Schulter nehmen. Sicherlich lässt sich eine Politökonomin oder -ökonom finden, die diese Politik für neu und wegweisend halten – also etwa eine Industriepolitik, die auf Klimasieger setzt. Auch ein Verweis auf die unerschöpflichen Möglichkeiten der staatlichen Geldvermehrung mag willkommen sein. Schließlich dürfte es noch hilfreich sein, klarzustellen, dass die Kritiker nur alte verbitterte Ordoliberale seien, die den Zug der Zeit und der internationalen, wissenschaftlichen Erkenntnis in verstaubten deutschen Professorenstübchen verpasst hätten.

Leider ist an dieser Art von Wirtschaftspolitik aber gar nichts neu. Frei nach Ronald Reagan passt sie in die Rubrik „Wenn es sich bewegt, besteuern, wenn es sich immer noch bewegt, regulieren, und wenn es sich gar nicht mehr bewegt, subventionieren.“ Hört man sich mit etwas offeneren Ohren im Ausland um, wird schnell klar, dass die deutsche Energiepolitik bestenfalls auf Erstaunen und Unverständnis aber jedenfalls auf keine Nachahmer trifft. Die hohen Kosten für die Wirtschaft und die Menschen sprechen für sich.

Es wäre Zeit für einen Neustart in der Wirtschaftspolitik, angefangen mit einer pragmatischen Energiepolitik, die zuvorderst für einen schnelle Ausweitung des Energieangebots sorgt, sowie einer europäisch-orientierten Klimapolitik, die mit der Ausweitung des europäischen Emissionshandels auf Gebäude und Mobilität die Treibhausgasemissionen europaweit deckelt. So würden zuerst dort Emissionen eingespart, wo es am kostengünstigsten ist, statt durch Verbote und Subventionen verteuerte, kleinteilige deutsche Sektorziele zu verfolgen.

Es braucht eine Politik, die ausreichend Zeit für die riesigen strukturellen Veränderungen lässt, die auf uns und unsere Wirtschaft zukommen; eine Politik, die schnell die notwendige Infrastruktur voranbringt und überlange, bürokratische Genehmigungsprozesse vereinfacht; eine Politik, die dereguliert und Verwaltung digitalisiert, statt noch mehr knappes Personal in Gerichts- und Verwaltungsverfahren zu binden; eine Politik, die die Wirtschaft bei der Transformation mit Rat und Tat unterstützt, aber doch bitte nicht, indem sie die entscheidende Signalwirkung der Marktpreise außer Kraft setzt. Es brauch eine Wirtschaftspolitik, die sich Markt und Wettbewerb zu Nutze macht, wettbewerbsfähige steuerliche Rahmenbedingungen schafft, und nicht aus Misstrauen gegenüber dem Markt, die Transformation verordnen und zunehmenden Schaden für den Standort Deutschland in Kauf nehmen will.