"Wachstum geht anders" - Gastbeitrag in der "Zeit"

In einem Gastbeitrag in der Wochenzeitung "Die Zeit" stellen vier Mitglieder des Sachverständigenrats, darunter Volker Wieland, die Thesen aus dem neuen Gutachten vor.

In den vergangenen Wochen hat der Druck auf den Finanzminister zugenommen, das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts für das Jahr 2015 fallen zu lassen. In der großen Koalition wird die Forderung nach höheren öffentlichen Investitionen lauter, und die europäischen Partnerländer, vor allem Frankreich und Italien, setzen sich im Einklang mit dem Internationalen Währungsfonds dafür ein, dass Deutschland endlich mehr Geld ausgibt.

Demnach lebe Deutschland von der Substanz: Die Verkehrsinfrastruktur sei marode, der unzureichende Breitbandausbau behindere die Digitalisierung der Wirtschaft, die Energiewende drohe an fehlenden Stromtrassen zu scheitern – und auch die deutschen Unternehmen investierten zu wenig und legten ihre Gewinne lieber im Ausland an.

Doch Panikmache ist nicht angebracht. Wenngleich mehr Investitionen durchaus wünschenswert wären, ist am Investitionsverhalten in Deutschland nichts Pathologisches. Vielmehr ist die Wirtschaftspolitik gefragt, Rahmenbedingungen zu schaffen, die für Private das Investieren noch attraktiver machen. Dazu gehört, dass der Staat die gute Einnahmesituation für den Erhalt der Infrastruktur nutzt.

Zunächst ist zu fragen: Gibt es in Deutschland tatsächlich eine »Investitionslücke« im dreistelligen Milliardenbereich, wie viele behaupten? Hier kann Entwarnung gegeben werden. Richtig ist zwar, dass die Investitionsquote in Deutschland über mehrere Jahre niedriger war als im Rest des Euro-Raums. Dies gilt aber vor allem für die Jahre vor der Krise. Die damals beobachtete Differenz der Investitionsquoten zwischen Deutschland und den anderen Euro-Ländern zu addieren und als »Investitionslücke« zu bezeichnen ist wenig sinnvoll: Viele der Investitionen in den anderen Euro-Ländern, etwa jene in Immobilien in Spanien, haben zwar kurzzeitig zu Wirtschaftswachstum geführt, allerdings zum Preis einer später umso schmerzhafteren Wirtschaftskrise.

Eine genauere Analyse zeigt, dass es die deutschen Bauinvestitionen sind, die den Unterschied zum Rest des Euro-Raums ausmachen. Nach den Übertreibungen im ostdeutschen Immobiliensektor nach der Wiedervereinigung muss dies jedoch als sinnvolle Korrektur bezeichnet werden. Und dass die deutschen Unternehmen derzeit mehr sparen, als sie netto investieren, ist vor allem ein Ergebnis der Globalisierung. Sie investieren sehr stark im Ausland, erzielen dort Gewinne und reinvestieren diese dann vor Ort. Von einem Ungleichgewicht, das dringend zu korrigieren wäre, kann nicht die Rede sein.

Das bedeutet nicht, dass die Politik nichts tun sollte, um die Investitionstätigkeit zu fördern. Doch nach den Reformen der Vergangenheit sonnt sie sich in der erfolgreichen Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise. Dabei hat die Belastung der deutschen Wirtschaft jüngst schleichend zugenommen, angefangen mit kleinen Korrekturen an den Reformen der Agenda 2010 bis hin zu den Beschlüssen in der Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik. Besonders ungünstig dürfte sich die Energiewende auf die privaten Investitionen ausgewirkt haben. Sie begünstigt einige wenige, erhöht jedoch die Energiekosten für die breite Masse der Unternehmen und die privaten Haushalte stark und macht Investitionen in Deutschland unattraktiver. In den USA dagegen sind die ohnehin niedrigen Energiekosten weiter gefallen. Seit Jahren mahnen der Sachverständigenrat und viele andere Ökonomen, wie wichtig es wäre, die deutsche Volkswirtschaft durch wachstumsfreundliche Strukturen besser auf die anstehenden Herausforderungen vorzubereiten. Zu diesen Herausforderungen zählen der demografische Wandel, der sich im kommenden Jahrzehnt deutlich beschleunigen wird, und die fortschreitende Globalisierung.

Um diese zu meistern, muss Deutschland für private Akteure attraktiv sein, damit sie in die Zukunftsfähigkeit des Landes investieren. So hat der Sachverständigenrat in seinem aktuellen Jahresgutachten seine Kritik an der übermäßigen Betonung von Umverteilungsmaßnahmen durch die gegenwärtige Politik erneuert und darauf hingewiesen, wie dadurch der Reformbedarf der Zukunft weiter anwächst. Um den Standort Deutschland für private Investoren attraktiver zu gestalten und damit künftiges Wachstum zu ermöglichen, ist eine (Rück-)Besinnung auf bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen unabdingbar.

Dabei ergänzen sich öffentliche Infrastruktur und privates Produktivkapital. Bei einer alternden Bevölkerung kann der Wirtschaftsstandort für private Investoren nur attraktiv sein, wenn er wirtschaftliche Aktivität mit einer gut funktionierenden Infrastruktur unterstützt. Es ist daher bedenklich, dass die öffentliche Hand in den vergangenen Jahrzehnten bei steigendem Schuldenstand weniger in die Infrastruktur investiert hat – in manchen Ländern und Kommunen sogar weniger, als zu deren Erhalt nötig gewesen wäre. Hier besteht durchaus Handlungsbedarf.

Verlässliche Zahlen zur Größenordnung der erforderlichen öffentlichen Investitionen liegen nicht vor. Dies hat nicht zuletzt mit ihrer statistischen Abgrenzung zu tun. In der Vergangenheit wurden Aufgaben von der öffentlichen Hand in den privatwirtschaftlichen Bereich ausgelagert, wodurch auch die entsprechenden Investitionen unterschiedlich zugerechnet wurden. Dies wird unzureichend in der Statistik berücksichtigt, sodass die amtlichen Daten die Entwicklung der öffentlichen Investitionen im Zeitablauf verzerrt wiedergeben. Ein weiteres Problem sind Änderungen in den Begriffsabgrenzungen. Bis ins Jahr 2014 umfassten öffentliche Investitionen vor allem Baumaßnahmen. Erst mit der jüngsten Umstellung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zählen Forschung und Entwicklung oder dauerhaft verwendbares militärisches Gerät zu den öffentlichen Investitionen.

Auch gehen die vorliegenden Zahlen zum Bedarf an Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen im Verkehrsbereich auf Angaben der Verkehrsminister der Länder zurück. Hierbei dürfte es sich weniger um zwingende Erfordernisse als vielmehr um eine Wunschliste handeln. Ähnliches gilt für die kommunalen Infrastrukturbedarfe, die Städte und Gemeinden der Staatsbank KfW melden. Der Sachverständigenrat geht davon aus, dass der tatsächliche Investitionsbedarf am unteren Rand der dort genannten Zahlen liegt und somit eher im unteren einstelligen Milliardenbereich angesiedelt sein dürfte.

Welche Wachstumswirkungen öffentliche Investitionen langfristig haben, lässt sich nur schwer beantworten. In Entwicklungs- und Schwellenländern sind Infrastrukturengpässe oftmals so stark, dass die private Investitionstätigkeit und damit die wirtschaftliche Entwicklung massiv beeinträchtigt werden. Davon ist Deutschland weit entfernt. In einer reifen Volkswirtschaft geht es vor allem um Ersatzinvestitionen und Defizite der bestehenden Infrastruktur. Zudem müssen manche öffentliche Einrichtungen, etwa auf kommunaler Ebene, angesichts der demografischen Entwicklung zurückgebaut werden.

Fatal wäre es, wenn höhere öffentliche Investitionen sich hierzulande vornehmlich in neuen Prestigeprojekten niederschlügen, die sich später als unwirtschaftlich entpuppten. Abgesehen von kurzfristigen Extragewinnen für die lokale Bauwirtschaft, ist der Wachstumseffekt beschränkt und kann längerfristig sogar negativ ausfallen. Anschauungsmaterial liefern die vielen unrentablen Regionalflughäfen, die im Namen der regionalen Wirtschaftsförderung errichtet wurden.

Angesichts der immer noch hohen Einnahmen der öffentlichen Haushalte ist der Finanzbedarf für zusätzliche Investitionen gut zu bewältigen. Die erforderlichen Mittel könnten leicht durch eine Priorisierung von Investitionen in den Haushalten von Bund und Ländern aufgebracht werden, ohne die Einhaltung der Schuldenbremse zu gefährden. Die jüngste Ankündigung des Finanzministers, in den kommenden Jahren zehn Milliarden Euro zusätzlich zu investieren, ohne die Staatsausgaben insgesamt zu erhöhen, weist in eine solche Richtung.

Flankiert werden sollte dies durch Maßnahmen, die für Private das Investieren attraktiver machen. Dies bedeutet allerdings weniger und nicht mehr Regulierung auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Wohnungsmarkt und bei der Energiepolitik. Die private Investitionstätigkeit staatlich zu steuern oder gar zu subventionieren wäre der falsche Weg.

Die Autoren Lars Feld, Isabel Schnabel, Christoph Schmidt und Volker Wieland gehören dem Sachverständigenrat der Wirtschaftsweisen an, der die Bundesregierung berät.

 

 

Eine Kurzfassung des Gutachtens finden Sie hier.