Volker Wieland sieht keine Notwendigkeit einer EZB-Zinssenkung im Oktober (FAZ)

Hat die Europäische Zentralbank (EZB) womöglich mit dazu beigetragen, dass die Inflation im Euroraum so stark steigen konnte, weil zu lange Anleihen kaufte und erst zu spät die Zinsen anhob? Dieser Frage sind Prof. Volker Wieland und IMFS-Alumnus Bálint Tatár in einem Papier nachgegangen, das die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" nun vorgestellt hat.

In dem CEPR Discussion Paper 19521 und IMFS Working Paper 209 "Policy Rules and the Inflation Surge: The Case of the ECB" untersuchen die Ökonomen die Zinsentscheidungen der EZB während des Inflationsanstiegs und danach und gleichen sie mit den Empfehlungen ab, die sich aus der Anwendung ökonomischer Regeln wie der Taylor-Regel und der Orphanides-Wieland-Regel ergeben. Aus diesen Regeln lässt sich ableiten, wie eine Notenbank auf bestimmte Inflationsentwicklungen oder eine Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts reagieren sollte.

"Die Taylor Regel gibt eine Zinsempfehlung für das Zinsniveau relativ zu einem Gleichgewichtszins. Sie ist also besonders nützlich, weil sie ein Signal für ein angemessenes Zinsniveau gibt", erläutert Wieland. "Die Orphanides-Wieland-Regel gibt eine Empfehlung für eine Zinsänderung, ausgehend vom bestehenden Niveau, zum Beispiel im letzten Quartal, wenn man das für Quartale berechnet." Der Vorteil der Orphanides-Wieland-Regel: Sie benötigt kein r*, d.h. den realen Gleichgewichtszins, ein Bestandteil der Taylor-Regel, der jedoch sehr unsicher geschätzt ist.

"Ein weiterer Vorteil ist, dass sie kein Potenzialniveau braucht, sondern nur das Potenzialwachstum. Aber der Nachteil ist, man bekommt keine Empfehlung für das Niveau unabhängig vom letzten Stand. Deshalb macht es Sinn beide Regeln heranzuziehen und zu vergleichen." Bei ihrem Vergleich der Inflationsentwicklung im Euroraum mit den geldpolitischen Entscheidungen der EZB kommen Wieland und Tatar zu dem Ergebnis: "In der Frühphase der Inflationswelle 2021 hätte die Notenbank die Zinsen schneller anheben müssen."

Für die nächste geldpolitische Sitzung der EZB im Oktober deuten Wieland und Tatar zufolge die geldpolitischen Regeln darauf hin, "dass die Leitzinsen nicht so schnell sinken sollten, wie es die auf Derivaten basierenden Zinsprognosen vermuten lassen". Die Notwendigkeit einer Zinssenkung sieht Wieland bei der Oktober-Sitzung demzufolge nicht. "Es bliebe Zeit, bis zur Dezember-Sitzung zu warten, wenn dem Rat auch eine neue EZB-Stabsprognose vorgelegt wird."

FAZ: "Ein kritischer Blick auf die Politik der EZB"

IMFS Working Paper 209: "Policy Rules and the Inflation Surge: The Case of the ECB"