Bitcoin & Co.: Der Kampf ums Geld (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung)

Wie bedrohlich sind Kryptowährungen für die Notenbanken? Gastbeitrag von Prof. Volker Wieland in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Konfrontiert mit Kryptonit verliert Superman seine Superkräfte. Das wissen alle Fans des Comics seit vielen Jahren. Heute fragen viele, ob die Notenbanken dieser Welt – konfrontiert mit den neuen Kryptowährungen – ihre Macht genauso schnell verlieren werden. Und das ist alles andere als eine dumme Frage.

Derzeit sind EZB, Fed und Co. noch „the talk of the town“. In der Corona-Krise produzieren sie Unmengen Geld und kaufen damit scheinbar die halbe Welt.  Etwas weniger dramatisch ausgedrückt: Sie erwerben Schuldtitel der Staaten und Unternehmen und zwar von den Banken. Im Gegenzug schreiben sie den Banken auf deren Konten bei der Notenbank den entsprechenden Betrag gut. Das ist digitales Notenbankgeld. So ist etwa die Bilanz der EZB auf aktuell 7737 Milliarden Euro angewachsen und die Notenbanker sind die wichtigsten Gläubiger der Mitgliedsstaaten geworden.

Die weltweite Marktkapitalisierung der Top 100 Krypto-Währungen liegt derzeit bei knapp 1100 Milliarden Euro, also etwa ein Siebtel der EZB-Bilanz. Das mag noch moderat klingen. Aber die Größenordnung entspricht bereits dem Euro-Bargeldumlauf von aktuell 1400 Milliarden Euro. Das sind die Banknoten und Münzen, die tatsächlich von Haushalten und Unternehme, die im Euroraum oder außerhalb ansässig sind, genutzt werden.  Digitales Bargeld gibt es nicht. Aber die Menschen bezahlen meist digital, ob per Überweisung, Geldkarte, Kreditkarte, Paypal oder mit dem Smartphone. Klassisches Bargeld verliert im Vergleich dazu an Bedeutung. Und nun treten die neuen Kryptowährungen in Wettbewerb mit den digitalen Bezahlmöglichkeiten, die uns das Bankensystem bietet, wie auch mit den Währungen, die die Notenbanken bereitstellen.  

Wer wird den Kampf uns Geld gewinnen? Steht ein Verdrängungswettbewerb bevor? Um dies zu beantworten, ist zu klären, ob und inwieweit Kryptowährungen Geld sind, wie es zu einem Währungswettbewerb zwischen privaten und staatlichen Währungen kommt, und wie die Notenbanken mit ihrem Produkt bestehen können.

Die Kryptowährung Bitcoin hat als Spekulationsobjekt mit rasant steigenden Preisen einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht. Sie macht ihrer Marktkapitalisierung fast die Hälfte der Top-100-Kryptowährungen aus. Bitcoin, das von der mysteriösen Person oder Institution Satoshi Nakomoto geschaffen wurde, bietet ein dezentrales Zahlungssystem, das ohne staatliche Garantie auskommt. Es basiert auf einer dezentral geführten, öffentlichen Transaktionsdatenbank. Knoten im Netzwerk können eine Kopie vorhalten, Änderungen vorschlagen und validieren. Eine zentrale Instanz wie in herkömmlichen Zahlungssystemen ist nicht mehr notwendig. Das Netzwerk prüft die Transaktion mittels eines Verfahrens, das auf der Bereitstellung von kryptographischer Rechenleistung basiert, um Konsens herzustellen.

Natürlich haben Bitcoin keinen intrinsischen Wert an sich, wie etwa Gold oder Zigaretten. Aber das ist beim staatlichen Papiergeld oder dem Buchgeld der Banken nicht anders. Trotzdem ist es fast schon ein Allgemeinplatz, dass Bitcoin die klassischen Funktionen von Geld nur sehr schlecht erfüllt. Kaum jemand nutzt es, um den Kaffee im Coffee-Shop zu zahlen oder andere tägliche Transaktionen zu tätigen. Es ist schlicht zu aufwendig und hat sich dafür nicht durchgesetzt. Das gilt umso mehr für große und grenzüberschreitende Transaktionen. Die Anonymität, die es bietet, macht es zwar interessant für kriminelle Transaktionen. Aber die Zahlungsströme sind grundsätzlich in der öffentlichen Datenbank nachzuverfolgen, so dass der kriminelle Missbrauch von Krypto-Währungen und Krypto-Börsen zu einem gewissen Maß durchaus erfolgreich recherchiert werden kann. Die hohe Volatilität steht der Funktion als Wertaufbewahrungsmittel entgegen. Und schließlich hat sich Bitcoin noch nirgendwo als bedeutende Recheneinheit durchgesetzt.

Bemerkenswert ist jedoch, dass selbst eine Kryptowährung, die die klassischen Funktionen von Geld so wenig erfüllt wie Bitcoin, bereits auf eine solch große Nachfrage getroffen ist. Wie viel mehr Potenzial muss dann in einer Kryptowährung stecken, die diese Funktionen deutlich besser realisiert. Die Zahl schießt jedenfalls nach oben. Sie nennen sich unter anderem Ethereum, Tether, Binance Coin, Cardano, DogeCoin, Ripple, USD Coin, Polkadot oder Binance USD. Sie unterscheiden sich im technischen Design, den Protokollen zur Herstellung von Konsens und anderen Aspekten. Darunter sind mehrere Stable Coins, die an den US-Dollar gebunden sind.

Mit einem Paukenschlag präsentierte ein von Facebook initiiertes und in der Schweiz basiertes Konsortium im Juni 2019 Pläne zur Schaffung einer wertstabilen Digitalwährung namens Libra, die an einen Währungskorb gebunden sein sollte. Libra sollte durch die Nutzung bestehender Netzwerke und Plattformen wie Facebook die Effizienz von Zahlungen im Privat- und Geschäftsbereich erhöhen eingeschlossen grenzüberschreitende Transaktionen. Gebühren sollten gesenkt und Transaktionsdauern verkürzt werden. Insbesondere in Staaten mit wenig entwickelten Finanzsystemen wollte Libra zu einer besseren finanziellen Inklusion beitragen.  Zwischenzeitlich wurde diese Initiative von Finanzmarktregulierungsbehörden und Notenbanken erst einmal ausgebremst und die Pläne wurden auf eine US-Dollar gebundene Stable Coin namens Diem zurückgestutzt.

Wettbewerb der Währungen

Aus Sicht eines Ökonomen ist klar, Wettbewerb ist gut für den Verbraucher. Denn der Wettbewerb sorgt dafür, dass Monopolrenditen verschwinden und Innovationen entdeckt werden. Wettbewerb der Währungen ist uralt. Muscheln, Silber und Gold erfüllen die Funktion als Tauschmittel besser als Gerste oder Rinder. Papiergeld reduziert die Produktionskosten. Staaten können vorschreiben, dass das Geld, das sie in Umlauf bringen, als gesetzliches Zahlungsmittel akzeptiert werden muss und zumindest zum Zahlen der Steuern verwendet werden kann. Aber wenn sie zu viel davon in Umlauf bringen, verliert es an Wert, d.h. an Kaufkraft. Dann steigen die Preise der Güter und Dienstleistungen ausgedrückt in der Recheneinheit, die diese Währung definiert. Es herrscht Inflation. 

So gibt es auch einen Wettbewerb der staatlichen Währungen dieser Welt. Ihre relative Kaufkraft findet ihren Ausdruck in den Wechselkursen. Menschen, die in Staaten mit hohen Inflationsraten leben oder einen starken Anstieg der Inflation befürchten, suchen häufig Zuflucht in Fremdwährung. Dies können Bankkonten in Fremdwährung sein oder ausländisches Bargeld. Es überrascht nicht, dass insbesondere Dollar- oder Euro-Banknoten mit höheren Werten im Ausland kursieren, etwa in der Ukraine und Russland oder in Ländern Lateinamerikas und Afrikas. Durch die Ausgabe von Bargeld erzielen Notenbanken Einkünfte, die sogenannte Seigniorage. In dem Maße, wie sie das Vertrauen in den Werterhalt pflegen, bleibt ihnen diese Einkommensquelle erhalten.

In Entwicklungs- und auch Schwellenländern gibt es viele Menschen, die keinen guten Zugang zu Bankkonten, zu einer stabilen Währung und kostengünstigen Zahlungssystemen haben. Eine digitale Währung, die ihnen Zugang zu einem digitalen Geldbeutel stellt und kostengünstigen Transaktionen geben würde, wäre ein riesiger Fortschritt und natürlich eine Riesenkonkurrenz für die dortige Notenbank sowie die Banken. Aber auch in Industrienationen dürfte eine Nachfrage bestehen. Wer Geld ins Ausland außerhalb der EU zu transferieren hat, weiß. welch horrende Gebühren da anfallen. Zudem steigen die Gebühren im inländischen Bankgeschäft, denn die Banken haben mit dem niedrigen Zinsumfeld zu kämpfen und suchen neue Einnahmen zu generieren. Eine private Digitalwährung, die in großem Stil in fortgeschrittenen Volkswirtschaften Nutzer fände, würde sich zudem auf die Möglichkeiten der Geldpolitik, auf Konjunktur und Inflation Einfluss zu nehmen, auswirken. Der Hebel, den die Notenbank derzeit nutzt, um die Finanzierungskosten in der Wirtschaft mit Liquiditätshilfen und Anleihekäufen niedrig zu halten, würde kleiner.

Das Imperium schlägt zurück

Batman hat wohl Superman mal geraten, einen Kryptonit-Anzug aus Blei und Titanium zu tragen, der ihn vor der Strahlung schützt. Aber auf Dauer passte das nicht zu Superman. Auch die Notenbanken setzen eher auf die Devise „Angriff ist die beste Verteidigung“. So hat bereits die Notenbank der Bahamas als erste im Oktober 2020 eine eigene Digitalwährung eingeführt, die wie der Bahamas Dollar eins zu eins an den US-Dollar gekoppelt ist. Viele Notenbanken habe Pläne vorgestellt, eine Digitalwährung zu entwickeln. In China und Schweden sind Pilotprojekte in Gang. Auch der EZB-Rat untersucht, wie ein digitaler Euro aussehen könnte.

Dabei haben die Notenbanken wohl weniger den Wettbewerb mit privaten Kryptowährungen im Auge als die Sorge, nicht rechtzeitig mit anderen Notenbanken mitzuziehen. Notenbanken, die sich schwer damit tun, die Inflationsrate in ihrem Zuständigkeitsbereich unter Kontrolle zu halten, werden aber kaum zusätzlich eine attraktive Digitalwährung in Umlauf bringen können. Sie werden durch den neuen Wettbewerb besonders stark unter Druck geraten. Zuletzt hat kürzlich die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) – der feine Club der Notenbanken im schweizerischen Basel – in einem vorabveröffentlichten Kapitel ihres Jahresberichts das hohe Lied der Notenbankdigitalwährungen gesungen. 

Zuerst stellt sich die Frage, ob die Notenbankdigitalwährung auf einer dezentral geführten Transaktionsdatenbank aufbauen und Anonymität bieten wird, oder ob es sich um ein Kontensystem handelt, das die Notenbank zentral verwaltet und wo sie die Identitäten und Transaktionen kennt. Die allermeisten, die EZB eingeschlossen, werden wohl auf letzteres setzen. Das kann gut funktionieren. Notenbankkonten für die Allgemeinheit gab es schon mal in der Vergangenheit. Allerdings ist abzusehen, dass es heiße Diskussionen, um die Einblicke, die die Notenbanken damit in unsere Privatsphäre erhalten, geben wird. Wer weiß, was ich kaufe, weiß, wer und wie ich bin. Man muss nicht kriminell sein, um da Bedenken zu haben. Nicht umsonst ist das klassische Bargeld, das maximale Anonymität bietet, weiterhin vielerorts sowie bei uns in Deutschland ein Erfolgsmodell. Private Kryptowährungen, die mehr Anonymität bei günstigen Transaktionskosten bieten, werden gegen solche staatlichen Digitalwährungen wohl bestehen können.

Eine kontenbasierte Digitalwährung der Notenbank ist vor allem ein neuer Wettbewerber für Banken. Die werden sich schwerer tun, Kundeneinlagen zu halten, wenn man sein Geld etwa gleich bei der Bundesbank anlegen kann. Das ist wohl der Hauptgrund, warum sich Notenbanken bisher zurückgehalten haben. Denn es kann nicht in ihrem Interesse sein, die Stabilität und Profitabilität des Bankensystems in Gefahr zu bringen. Bei uns ist die Profitabilität der Banken bereits aufgrund der Niedrigzinspolitik der EZB beeinträchtigt und es haben sich große Zinsänderungsrisiken auf den Bankbilanzen aufgebaut. Da sollte man nicht zündeln. Aber dieses Argument ist inzwischen nicht mehr stark genug, um Pläne für Notenbankdigitalwährungen aufzuhalten. Es wird darum gehen, diese so zu gestalten, dass die Banken an der Bereitstellung beteiligt werden und sich darüber Geschäftsmöglichkeiten erhalten können. Die notwendige Infrastruktur muss schließlich nicht vom staatlichen Notenbanksystem allein bereitgestellt werden. 

Schließlich würde eine Digitalwährung den Notenbanken neue Möglichkeiten in der Geldpolitik eröffnen. Das klassische Bargeld, das einen Zinssatz von Null Prozent garantiert, ist der Hauptgrund dafür, dass die Notenbank in Deflationsphasen auf eine Zinsuntergrenze trifft und auf Wertpapierkaufprogramme zurückgreifen muss. Deren Effektivität ist umstritten. Eine Digitalwährung könnte dagegen Zinsen zahlen. In einer Rezession und Deflation könnte dann die Zinspolitik in den negativen Bereich fortgesetzt werden. Kurze Phasen von tieferen Negativzinsen könnten helfen, solch langanhaltende Niedrigzinsphasen, wie wir sie nun schon seit Jahren in Deutschland erleben, zu vermeiden. Bei Einführung der Digitalwährung wäre ein Negativzins jedoch abschreckend. Aber auch eine Digitalwährung, die einen Zins von Null garantiert, wäre im aktuellen Umfeld problematisch. Sie würde die aktuelle Zinspolitik und die quantitative Lockerung, die die längerfristigen Zinsen in den negativen Bereich drückt, konterkarieren. Außerdem würde sie den Wettbewerbsdruck auf den Bankensektor massiv erhöhen. Es bleibt also spannend.

Dieser Gastbeitrag ist am 27.06.2021 in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" erschienen. (€)