Der Koalitionsvertrag im Expertencheck der Goethe-Universität

Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Goethe-Universität haben den Koalitionsvertrag der Ampelkoalition aus ihren jeweiligen Blickwinkeln unter die Lupe genommen. Dabei geht es etwa um Aspekte des Klimaschutzes und der sozialen Ökologie, Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen. In seinem Beitrag betont Prof. Volker Wieland, dass die großen Herausforderungen Digitalisierung und Klimaschutz gestemmt werden können, wenn die Möglichkeiten der Marktwirtschaft effektiv genutzt werden. Allerdings warnt er davor, dass die Regierung bei der Finanzierung der geplanten Maßnahmen nicht ein Vorgehen wähle, das „die Schuldenbremse möglicherweise in großem Stil umgeht“.

"Die großen Herausforderungen Digitalisierung und Klimaschutz sollen laut Koalitionsvertrag mit einer neuen Strategie angegangen werden, die auf eine schnellere Modernisierung von Staat und Wirtschaft, Innovationen und Investitionen setzt. Das ist schon mal die richtige Ansage. Die Kunst liegt in der Umsetzung. Häufig wird – durchaus zurecht – gefragt, wer soll das alles finanzieren, geht das überhaupt, und kann der Staat das alles stemmen?  Meine Antwort: Transformation von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft ist nichts Neues. Das fand in der Vergangenheit vielfach und vielerorts statt. Marktwirtschaft und Wettbewerb haben in vielen Staaten wiederholt ungeheure Investitionen mobilisiert, bahnbrechende technologische Innovationen ermöglicht und großen Wohlstand geschaffen. Staaten haben dafür entscheidende Rahmenbedingungen wie Eigentumsrechte, Wettbewerbsordnung, öffentliche Güter und Dienstleistungen, Steuern, Regulierung und Verwaltung gesetzt. 

Wir können also die neuen Herausforderungen stemmen, wenn wir die Möglichkeiten der Marktwirtschaft effektiv nutzen. Staatliche Rahmenbedingungen setzen Anreize für private Investitionen in neue Technologien. Preise signalisieren Knappheit und Renditemöglichkeiten. Konkret: wenn die Klimapolitik einen Preis für Treibhausgasemissionen ins Zentrum rückt und dieser CO2-Preis die Kosten der globalen Erwärmung signalisiert, entsteht ein großer Druck, das Verhalten zu ändern sowie umfangreiche Investitionen und technische Innovationen auszulösen. Ein internationaler Klimaclub sowie ein sektor- und länderübergreifendes Emissionshandelssystem und ein Mindestpreis für CO2-Emissionen, wie sie im Koalitionsvertrag benannt werden, können hier helfen.

Ebenso spielen die im Koalitionsvertrag genannten öffentlichen Investitionen in Forschung und Infrastruktur eine bedeutende Rolle, um die Transformation voranzubringen.  Aber wer mit Praktikern der Haushaltspolitik spricht, hört immer wieder: „Es lag nicht am Geld. Wir haben ausreichend Mittel für öffentliche Investitionen zur Verfügung gestellt. Aber sie wurden nur zum Teil abgerufen. Der verbliebene Spielraum wurde für andere Zwecke genutzt.“ Deshalb ist es so wichtig, dass die Koalitionäre die Ziele, die sie sich für eine Beschleunigung von Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie die Digitalisierung der Verwaltung gesetzt haben, tatsächlich erreichen. Sowohl öffentliche also auch private Investitionen scheitern genau daran.

Was die Finanzierung angeht, bin ich froh, dass die Koalition die Schuldentragfähigkeit betont hat und die nötigen Ausgaben im Rahmen der deutschen Schuldenbremse realisieren will – und zwar ohne die Steuern zu erhöhen. Höhere Steuern würden die private Investitionstätigkeit schädigen. Der Staat kann sich verschulden, insoweit er mit Wachstum und höheren Steuereinnahmen in der Zukunft rechnen kann. Die Einhaltung der Schuldenbremse sorgt dafür, dass die Schuldentragfähigkeit in diesem Sinne gewährleistet bleibt. Die Schuldenbremse wirkt einer übermäßigen Schuldenneigung – etwa, weil es so leichter ist, schwierige politische Auseinandersetzungen zu vermeiden – entgegen. Die Staatsquote lag im letzten Jahr bereits über 50%.  Staatliche Ausgaben und Transferleistungen sind also bereits sehr umfangreich.

In seiner mittelfristigen Finanzplanung hat der Bund bereits 50 Milliarden Euro jährlich für öffentliche Investitionen eingeplant. Das sind 30 Prozent mehr als für das Jahr 2019. Die Investitionen der Länder, Kommunen und der öffentlichen Unternehmen kommen zu diesem Betrag noch dazu. Daneben hat die Regierung die Möglichkeit, umweltschädliche Subventionen, die heute auf bis zu 65 Milliarden Euro geschätzt werden, zu streichen. Insbesondere sollte die Regierung alle Ausgaben auf den Prüfstand stellen und eine strikte Neu-Priorisierung durchführen. Außerdem müssen nicht alle Ausgaben automatisch mit der Wirtschaftsleistung zunehmen. 

Tilgungsverpflichtungen, die sich aus der erhöhten Schuldenaufnahme in der Corona-Krise infolge der Anwendung der Notlageklausel der Schuldenbremse ergeben, können durchaus weiter in die Zukunft verschoben werden.  Außerdem hat die Regierung einen gewissen Spielraum für zusätzliche Kreditaufnahme bei Sondervermögen wie der Deutschen Bahn und der KfW, ohne die Schuldenbremse zu verletzen. Problematisch sind jedoch diverse Umgehungsversuche der Schuldenbremse, die im Koalitionsvertrag angelegt sind, aber deren Größenordnung noch nicht beziffert ist. So will die Koalition ungenutzte Kreditermächtigungen für 2021 und 2022 (also wenn die Corona-Notlagenausnahme noch gilt) einsetzen, um ein Sondervermögen – den Energie- und Klimafonds – möglicherweise in sehr großem Umfang zu befüllen. Ab 2023 sollen dann wieder die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten werden. Aber die zukünftigen Ausgaben der Sondervermögen sollen dann an der Schuldenbremse vorbeigeleitet werden.  Damit werden möglicherweise in sehr großem Umfang Schulden, die mit Begründung durch die Corona-Notlage aufgenommen werden, zweckentfremdet. Verfassungsrechtler warnen bereits, dass dies der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse widerspricht und voraussichtlich vor dem Bundesverfassungsgericht landen wird.

Fiskalregeln wie die Schuldenbremse und die entsprechenden europäischen Vorgaben müssen nachvollziehbar, vermittelbar und glaubwürdig sein. Die Bindungswirkung ist letztlich entscheidend für ihren Erfolg. Sie ist unverzichtbar für die Glaubwürdigkeit der institutionellen Rahmenbedingungen und die Stabilität der europäischen Währungsunion. Deshalb sollte die Regierung bei der Finanzierung der geplanten Maßnahmen nicht ein Vorgehen wählen, das die Schuldenbremse möglicherweise in großem Stil umgeht."

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