"Offen ist noch, wie nachhaltig dieser Rückgang ist und ob er womöglich nur temporär ist", so Wieland. Eine zentrale Rolle für den Rückgang spielten die Energiepreise. "Rechnet man die Energiepreise heraus, lag der Anstieg der Verbraucherpreise im Januar noch bei 3,8 Prozent." Zudem weist Wieland darauf hin, dass auch die Teuerung aller im Inland erzeugten Produkte und erbrachten Dienstleistungen, gemessen am BIP-Deflator, im dritten Quartal 2023 noch bei über 5 Prozent gelegen habe.
Im Vergleich zur Situation nach dem Ölpreisschock in den 1970er Jahren verweist Wieland auf die Rolle der Lohnentwicklung. Damals sei auf das erste Abebben der Inflation ein Wiederanstieg auf ein zweites Hoch erfolgt - "nicht zuletzt wegen der nachfolgenden Lohnerhöhungen". Aktuell seien die nachhaltigen Komponenten der Teuerung noch gar nicht so stark zurückgegangen. "Das spricht dafür, abzuwarten und sich über die weitere Entwicklung zu vergewissern." Der richtige Zeitpunkt für eine Zinssenkung könnte Wieland zufolge durchaus im Sommer kommen. Diesen Zeitpunkt genau zu verpassen sei momentan jedoch das kleinere Problem.
Rückblickend hat die Europäische Zentralbank (EZB) nach Wielands Einschätzung zu spät auf den Anstieg der Inflation reagiert. Im Sommer 2022 habe sie die Zinsen dann zu Recht gezwungenermaßen schnell erhöht. Richtig sei auch gewesen, die Zinsen im Frühjahr und Sommer 2023 weiter anzuheben. Da habe die EZB Vertrauen wiedergewonnen. "Es wäre sogar noch etwas mehr sinnvoll gewesen."
Mit ihrer verspäteten Reaktion sieht Wieland die EZB jedoch nicht allein. "Sowohl die EZB als auch die amerikanische Notenbank Federal Reserve hätten bereits früher auf den Anstieg der Inflation nach der Coronakrise reagieren können und müssen." Notenbanken in Schwellenländern hätten früher reagiert, so Wieland.
Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Kann man dem Rückgang der Inflation trauen?"