Volker Wieland über den Euroraum und Griechenland ("Schwäbische Post")

Im Interview mit der "Schwäbischen Post" spricht Prof. Volker Wieland über seine Arbeit im Sachverständigenrat und die Zukunft des Euro.

Das Gespräch führte Martin Simon von der "Schwäbischen Post".

Herr Wieland, Sie stammen aus Aalen.

Ja, ich komme aus Aalen. Ich habe die Grauleshofschule besucht und danach das Theodor-Heuss-Gymnasium bis zum Abitur.

Wie fühlt man sich eigentlich als Wirtschaftsweiser?

Genauer gesagt bin ich Mitglied des sogenannten Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Das klingt eher umständlich und langweilig, und kaum jemand kann es sich merken. Wie nett, dass sich ein freundlich gesonnener Journalist vor Jahrzehnten den Spitznamen "Wirtschaftsweise" ausgedacht. Natürlich wissen wir alle zu genau, dass man Weisheit nicht per Ernennung auf eine Position erhalten kann. Aber vielleicht war es sowieso nur ironisch gemeint.
Der deutsche Sachverständigenrat ist übrigens etwas anders angelegt als in anderen Ländern. Besuchen Sie einmal die Website des U.S. amerikanischen Council of Economic Advisers werden Sie sofort sehen, diese Experten haben nicht nur den Auftrag, den U.S. Präsidenten zu beraten, sondern auch seine Politik als erfolgreich zu verkaufen. Bereits die erste Seite zeigt Präsident Obama mit Arbeiterinnen in einer Fabrikhalle mit dem Verweis, dass er die Grundlagen für das Wirtschaftswachstum lege.
Unser Rat, der 1963 per Gesetz gegründet wurde, ist dagegen von der Regierung unabhängig. Er hat den Auftrag zur Erleichterung der Urteilsbildung bei allen wirtschaftspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie in der Öffentlichkeit beizutragen. Wir versuchen das umzusetzen, indem wir in unserer Analyse neueste wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigen. Dabei sollen wir Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung benennen. Das heißt, wir müssen auch die Risiken ansprechen, die sich nach unserer Einschätzung aus der Wirtschaftspolitik der Regierung ergeben. Etwaige Kritik von einzelnen Regierungsvertretern kann deshalb auch als Zeichen gewertet werden, dass wir unseren gesetzlichen Auftrag erfüllen.

Sie sehen keine Euro-Krise, sondern eher die Krise einiger Länder?

Ja, denn von einer Krise der Währung spricht man, wenn Anleger aus dieser Währung massenhaft fliehen, der Wert der Währung rapide verfällt, und der Notenbank die Reserven ausgehen. Das war und ist für den Euro nicht der Fall.

Aber es gab Fluchtbewegungen.

Die gab es, jedoch vorwiegend aus Mitgliedsländern, die eine Schulden- und Zahlungsbilanzkrise durchlaufen haben, in Mitgliedsländer wie Deutschland, die relativ stabil da standen. Aktuell gilt das wieder für Griechenland. Irland, Spanien und Portugal zeichnen sich nach Jahren der Krise wieder durch anhaltendes Wachstum aus. Trotzdem, die Krise ist nicht vorbei. Das zeigen nicht zuletzt die extremen geldpolitischen Schritte der EZB. Und man muss schon sehen, dass das Vertrauen in die Institutionen der Eurozone, insbesondere in die Bereitschaft der Mitgliedsländer, die für eine Währungsunion souveräner Staaten notwendigen Regeln einzuhalten, schwer beschädigt ist.

Haben Sie Ideen für ein Gegensteuern?

Die Notenbank kann die Krise nicht dauerhaft lösen. Zudem sind in den Krisenländern schwierige Anpassungsprozesse nicht zu vermeiden. Sie müssen Wettbewerbsfähigkeit gewinnen, Schuldenstände abbauen und können keine Leistungsbilanzdefizite mehr fahren. Die Anpassung wäre auch notwendig wenn sie nicht in einem Währungsverbund wären. Außerhalb des Euro könnte eine Abwertung schneller zu internationaler Wettbewerbsfähigkeit führen. Innerhalb des Euro muss dies über Lohn- und Preisrückgänge erreicht werden. Geht dies nur langsam vonstatten, kommt es zu höherer Arbeitslosigkeit. Um wieder mehr Wachstum zu erzielen und die Beschäftigung wieder zu erhöhen, ist es entscheidend, dass die Regierungen der Mitgliedsländer den eingeschlagenen Konsolidierungs- und Reformpfad nicht verlassen.  Dabei gilt übrigens, nicht alles was als Reform bezeichnet wird, ist zielführend.

Wie sähen wirksame Reformen aus?

Es geht darum, verkrustete Strukturen aufzubrechen, die meist mit massiven Vorteilen für einzelne Gruppen verbunden sind, während andere dann die volle Last der Anpassung der Volkswirtschaft tragen müssen. Positiv anzumerken ist, dass die Länder die sich konsequent auf den Weg gemacht haben, seit einiger Zeit wieder die höchsten Wachstumsraten im Euroraum erzielen.

Für wie sicher halten Sie den Euro?

Im Moment droht jedenfalls keine große Inflation nicht. Die Politik der EZB zielt zwar darauf, die Inflation deutlich zu erhöhen. Aber aufgrund des Ölpreisverfalls und der Anpassungsprozesse in den Krisenländern haben gegenwärtig Inflationsraten nahe Null.

Droht dem Euro eine Abwertung?

Nun, die Abwertung die wir gerade erleben ist von EZB und vielen Mitgliedsländern offensichtlich gewünscht, und zumindest zum Teil Ergebnis der EZB Politik. Die Abwertung soll dazu beitragen die Nachfrage aus dem Ausland zu erhöhen. Der deutsche Leistungsbilanzüberschuss wird dadurch wohl noch zunehmen.

Was meinen Sie, bleiben alle Mitgliedsländer beim Euro dabei?

Schaut man das Verhalten der griechischen Regierung an, so kann man bezweifeln, ob Griechenland dauerhaft dabei bleibt. Bisher haben jedoch alle anderen zumindest das Mindestmaß an Entscheidungen getroffen, um den Erhalt des Währungsraumes zu sichern. Die EZB kann das jedenfalls nicht allein sicherstellen. Es kommt darauf an, dass sich auch die großen Länder an die Spielregeln halten. Vor dem Hintergrund ist es bedenklich, wenn die Länder wie Frankreich immer wieder Spielraum bekommen, Konsolidierungsziele und Reformschritte auf die Zukunft zu vertagen. Hier sollte die Europäische Kommission mehr Mut zeigen.

Wo klemmt es gerade besonders?

Zentral ist Italien, ein großes Land, das dringend Strukturreformen. die von Internationelem Währungsfonds, EU-Kommission und anderen regelmäßig angemahnt werden, umsetzen muss. Während Spanien aus der Krise wieder herauswächst, stagniert Italien immer noch.

Was sagen Sie zur Griechenland?

Fatal, wie die neue Regierung das Land in die Katastrophe führt. Man kann die Griechen da nur bedauern. Die mühsam erarbeiteten Wachstumsaussichten sind seit Januar umgehend wieder zerstört worden.

Bedroht dies die Stabilität des Euro?

Ich denke nicht. Die Situation ist nicht mehr dieselbe wie im Frühjahr 2010. Andere Krisenländer wie zum Beispiel Spanien, Irland und Portugal haben deutliche Fortschritte gemacht, wenn auch die Arbeitslosenzahlen noch hoch sind. Man muss nicht befürchten, dass die Schuldzinsen in diesen Ländern von heute auf morgen in die Höhe schießen, falls die griechische Regierung Bankrott anmeldet. Zudem kaufen die EZB und die nationalen Notenbanken gerade in großem Stil Staatsanleihen. Diese Politik drückt die Zinsen auf Staatsschulden, in Deutschland sogar in den negativen Bereich über mehrere Jahre in die Zukunft. Da wäre es für Anleger riskant, auf kurzfristig steigende Zinsen zu wetten.

Und wenn das griechische Beispiel Schule macht?

Das wäre die größere Gefahr für die Stabilität des Euro. Wenn möglicherweise neue Regierungen in anderen Ländern sich vom Konsolidierungs- und Reformkurs verabschieden wollen, im Glauben es gäbe einen anderen, viel leichteren Weg. Aber an der griechischen Entwicklung sollte sich eigentlich schon jetzt erkennen lassen, dass dies schnell in den Abgrund führen kann.

Was kann die Geldpolitik unternehmen, um die Prosperität der EU-Staaten zu erhalten?

Die Geldpolitik sollte sich auf den Erhalt der Preisstabilität konzentrieren. Sie sollte möglichst den Eindruck vermeiden, dass die Probleme des Euroraums dauerhaft mit Hilfe der Notenpresse gelöst werden könnten. Sie sollte Risiken für Finanzmärkte, wie zum Beispiel Übertreibungen in Aktien- oder Immobilienpreisen, die sich aus einer lang anhaltenden Niedrigzinsphase ergeben können, vermeiden.
Zudem sollte sie berücksichtigen, dass die massiven Staatsanleihekäufe den Regierungen Spielraum verschaffen, notwendig Konsolidierungsmaßnahmen und Strukturreformen aufzuschieben. Denn diese Aufkaufprogramme sorgen kurzfristig für günstige Finanzierungskonditionen. Nach meiner Einschätzung war die Geldpolitik zum Jahresende gemessen an Wachstum und Inflation im Euroraum insgesamt schon locker genug. Ich habe deshalb angesichts der genannten Risiken von dem Einstieg in an groß angelegtes Aufkaufprogramm für öffentliche Anleihen abgeraten.

(Quelle: "Schwäbische Post")