2016
15.12.2016
Prof. Volker Wieland, IMFS und Sachverständigenrat
Präsentation des Jahresgutachtens 2016/17 des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
Ein kritisches Zeugnis stellte Prof. Volker Wieland der großen Koalition bei der Vorstellung des Jahresgutachtens des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung aus. Den Titel „Zeit für Reformen“ haben die Sachverständigen ihrem jüngsten Gutachten vorangestellt. „Seit Beginn der Koalition sehen wir, dass Dinge wieder zurückgenommen werden“, sagte Wieland mit Blick auf Maßnahmen wie die Rente mit 63. Derzeit sei in Deutschland eine Überauslastung zu beobachten. „Wir wachsen in eine Überhitzung hinein“, warnte Wieland. Es gelte daher, die Zukunftsfähigkeit in Deutschland zu sichern und so etwa die Deregulierung im Dienstleistungssektor voranzutreiben, die Mietpreisbremse abzuschaffen und das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung zu koppeln.
Der Blick auf die Wirtschaftsleistung pro Kopf zeige, „nicht Japan ist das Schreckensszenario, sondern Europa“, sagte Wieland. Die Situation im Euroraum sei sehr heterogen, in Frankreich sei die Situation deutlich schlechter als in Deutschland und besonders dramatisch in Italien. „Seit 2008 ist die Wirtschaftsleistung um 12 Prozent eingebrochen und liegt noch unter dem Niveau von 1999.“ Als Gegenbeispiel führte Wieland Spanien an, dessen Wirtschaft seit 2012 sehr schnell wachse. „Spanien hat frühzeitig reformiert und innerhalb kürzester Zeit den Einbruch aufgeholt.“
Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) hält Wieland derzeit nicht für angemessen. Das Mandat der EZB sei die Preisstabilität und müsse nicht geändert werden. „Das Mandat lässt Spielraum, auch auf andere Inflationsmaße als nur die Verbraucherpreise zu schauen“, forderte Wieland. Die EZB habe zwar den Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) gewählt, andere Preise seien jedoch ebenfalls zu beachten. „Der BIP-Deflator für den Euroraum zeigt seit fünf Jahren einen Anstieg um ein Prozent“, sagte Wieland. Seiner Einschätzung nach gibt das der EZB durchaus Raum, die Geldpolitik im Euroraum zu straffen. Dabei verwies Wieland vor allem auf die Kehrseite der expansiven Geldpolitik: Risiken für die Finanzstabilität, Zinsänderungsrisiken im Bankensektor und die „Freistellung der Regierungen im Euroraum von jeglicher Marktdisziplin und letzten Endes fiskalische Dominanz“.
30.11.2016
Prof. Michael Haliassos, Goethe-Universität, Prof. Athanasios Orphanides, MIT, und Prof. Volker Wieland, Ph.D., IMFS
"European Union - Where To?"
Muss der Euro abgewickelt werden, um die Idee von einem vereinten Europa zu retten? Über die Gefahren für das europäische Projekt und den Zustand der Europäischen Union diskutierten Prof. Michael Haliassos, Goethe-Universität, Prof. Athanasios Orphanides vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und IMFS-Professor Volker Wieland. Moderiert wurde die Runde von Prof. Tobias Tröger, Assoziierter Professor am IMFS.
Einig zeigten sich die Ökonomen zwar, dass die EU an einem entscheidenden Punkt ihrer Geschichte stehe. Bei den Gründen, die zum Brexit-Votum der Briten und dem aufstrebenden Populismus in verschiedenen Ländern Europas geführt haben, und den Lösungsansätzen setzten sie jedoch unterschiedliche Akzente. Orphanides, ehemaliger Chef der zyprischen Notenbank mit zyprischen und griechischen Wurzeln, sieht das Hauptübel in der mangelnden politischen Einheit in der EU. "Die Regierungschefs sorgen sich nur um die Wiederwahl im eigenen Land", kritisierte er. Die unvollständige Integration im Euroraum gefährde zudem die EU in ihrer Gesamtheit, warnte der MIT-Professor. Man müsse darüber nachdenken, den Euro wieder abzuwickeln, um die europäische Idee zu retten, forderte er. Einstimmigkeit in Fragen wie der Bankenunion, einer einheitlichen europäischen Aufsicht oder einer gemeinsamen Einlagensicherung sei nicht erreichbar.
Haliassos, der gemeinsam mit anderen Ökonomen den Blog "Greek Economists for Reforms" betreibt, hob vor allem die Gefahren hervor, die sich daraus ergeben, wenn sich in verschiedenen Ländern Menschen von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt fühlen. "Das ist der Grund für das Aufkommen des Populismus", sagte er. Mit Blick auf Griechenland warnte Haliassos, sich zu sehr auf Sparprogramme zu konzentrieren statt auf Maßnahmen, die die Wettbewerbsfähigkeit steigern, wie den Abbau von bürokratischen Hürden oder die Ausweitung der Steuerbemessungsgrundlage. "Das ist zu wenig Zuckerbrot und zu viel Peitsche", sagte Haliassos. Krisenländer wie Griechenland könnten ihr Potential nicht umsetzen. Um den "Zyklus der Entfremdung" in solchen Ländern zu durchbrechen, riet Haliassos, Mikrodaten genauer auszuwerten. Sie könnten Aufschluss darüber geben, welche Bevölkerungsgruppen ins Hintertreffen geraten seien.
Man müsse unterscheiden zwischen dem europäischen Friedensprojekt und der zunehmenden Entfremdung der Menschen von dem Brüsseler Apparat, warnte Wieland. "Die Wahlergebnisse in verschiedenen Ländern sind ein Beleg für den Wunsch vieler Menschen, dass wichtige Entscheidungen nicht nach Brüssel verlagert, sondern im eigenen Land getroffen werden", sagte er. Eine Win-win-Situation lasse sich auf europäischer Ebene aber durchaus bei Fragen wie der Grenzsicherung, der Verbrechensbekämpfung oder der gemeinsamen Klimapolitik erzielen. Im Euroraum machte sich Wieland für Maßnahmen stark wie einen Insolvenzmechanismus für Staaten und einen funktionierenden Krisenmechanismus. Auch die enge Verbindung zwischen Banken und Staaten müsse getrennt werden. "Der Euroraum ist noch nicht stabil", warnte Wieland.
09.06.2016
Prof. Dr. Thomas Möllers, Universität Augsburg
Kapitalmarktrecht in Permanenz - des Guten zu viel?
Das Kapitalmarktrecht befindet sich fortwährend im Umbau, doch nicht immer baut ein Element auf das andere auf. Zu diesem Schluss kam Professor Thomas Möllers von der Universität Augsburg bei seinem Vortrag in der Reihe Working Lunch. „Lange Zeit stand die Harmonisierung der Rechtsprechung in Europa im Vordergrund, nun liegt die größte Herausforderung in der enormen Komplexität“, erläuterte der Professor für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht, Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung. Während Regulierungsfragen nach deutschem Recht einst auf 43 Seiten geregelt waren, umfasse dies nach Europarecht 120 Seiten, erklärte Möllers. Bei den Rahmenrichtlinien und Durchführungsmaßnahmen zu den EU-Produktinformationsblättern Priips und der EU-Marktrichtlinie Mifid II kommt Möllers sogar auf 398 Seiten. Diese Normdichte auf europäischer Ebene ist nach Einschätzung des Experten für Wirtschaftsrecht den Engländern geschuldet. Sie seien geprägt vom case law, wonach vorwiegend Urteile als Rechtsquellen herangezogen würden.
Unnötige Komplexität ergibt sich nach Auffassung von Möllers auch aus dem Vorpreschen des nationalen Gesetzgebers. So sei nach §31 Abs. 3a des Wertpapierhandelsgesetzes 2011 ein Produktinformationsblatt eingeführt worden – wohl wissend, dass dies Ende 2016 vom Basisinformationsblatt nach Priips abgelöst wird. „Der Gesetzgeber erlässt Gesetze, obwohl er schon weiß, dass er sie wieder abschaffen wird“, kritisierte Möllers. Den Grund hierfür sieht Möllers in „politischem Aktivismus“. Die Politiker reagierten auf die Finanzkrise, ohne notwendigerweise an den Ursachen der Finanzkrise anzusetzen.
Zusätzliche Komplexität entstehe zudem aus der Anwendung von Verordnungen statt Richtlinien. Während Richtlinien erst in nationales Recht umgewandelt werden müssen, gelten Verordnungen unmittelbar nach der Verabschiedung in den Mitgliedstaaten. Eine Systematik kann Möllers dabei jedoch nicht erkennen: „Materien werden herausgenommen und durch Verordnungen geregelt“, kritisierte er. Allerdings seien auf der zweiten Ebene dann sowohl Verordnungen als auch Richtlinien zu finden. Die Anwendung von Verordnungen als unmittelbares Recht in allen Mitgliedstaaten bezeichnete Möllers zwar als „wünschenswertes Fernziel“. Notwendig sei dafür jedoch ein ausgeprägteres Sekundärrecht in Form von Kommentaren, woran an bislang mangele.
Insgesamt gibt es nach Auffassung von Möllers zu viele Regeln in Bereichen, in denen keine Notwendigkeit bestehe. „Wir schaffen im Moment einen Overkill an Regulierung“, kritisierte er. Gelungene Beispiele für strukturierte Zusammenarbeit gebe es nur wenige, wie etwa die EU-Übernahmerichtlinie. Angesichts der weltweiten Kapitalströme reiche das Bemühen auf europäischer Seite allerdings nicht aus. Auch die Vereinigten Staaten und Asien müssten mitarbeiten wie beim Beispiel der Ratingagenturen, betont Möllers.
Prof. Thomas Möllers: "European Legislative Practice 2.0: Dynamic Harmonisation of Capital Markets Law - Mifid II and PRIIP" (PDF, 254 KB)
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14.03.2016
Prof. Dr. Heike Schweitzer, Freie Universität Berlin und Kronberger Kreis
Das entgrenzte Mandat der EZB - Das OMT-Urteil und seine Folgen
Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seiner Vorabentscheidung zu den Outright Monetary Transactions (OMT) der Europäischen Zentralbank (EZB) nahezu einen Freibrief erteilt hat, wird bis zur Sommerpause das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in dieser Sache erwartet. Würden die Karlsruher Richter komplett von der Meinung des EuGH abweichen, könnte dies nach Einschätzung von Heike Schweitzer, Direktorin des Instituts für deutsches und europäisches Wirtschafts-, Wettbewerbs- und Regulierungsrecht an der FU Berlin, in einem Domino-Effekt zu einer Rechtskrise in Europa führen. Mit dem OMT-Programm hatten die Karlsruher Richter erstmals einen Fall zur Klärung an den EuGH übergeben und im Februar 2016 die mündliche Verhandlung über die Verfassungsbeschwerden zum OMT-Beschluss wieder aufgenommen.
Mit ihren Kollegen des Kronberger Kreises, darunter Volker Wieland, hat die Juristin den Karlsruher Richtern einen Vorschlag für das weitere Vorgehen vorgelegt, der unter dem Titel „Das entgrenzte Mandat der EZB“ erschienen ist. In der Studie raten die Autoren, der EuGH-Entscheidung in der Sache zu folgen, aber in der Begründung abzuweichen und klare Begrenzungen formulieren. „Damit wäre das OMT-Programm zwar zulässig, für künftige Fälle würden sich das Verfassungsgericht jedoch eine Kontrolle vorbehalten“, sagte Schweitzer. Akzeptierten die Karlsruher Richter dagegen auch die Begründung aus Luxemburg und wiesen die Verfassungsbeschwerden ab, hätte das zur Folge, dass sie auch in Zukunft kein Kontrollrecht über das Vorgehen der EZB ausüben könnten.
Zentrale Punkte in der gerichtlichen Auseinandersetzung um das OMT-Programm sind die Grenzen der Zuständigkeit der EZB sowie das Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Nach Einschätzung von Schweitzer und ihren Ko-Autoren hat der EuGH das Mandat der EZB sehr weit ausgelegt. Mit der Vorabentscheidung werde eine allgemeine Ermächtigung erteilt, um Störungen beim Transmissionsmechanismus zu beheben. „Das geldpolitische Mandat der EZB ist jedoch kein Auftrag, um eine einheitliche Transmission geldpolitischer Signale in alle Euro-Mitgliedstaaten zu gewährleisten“, sagte Schweitzer. Ziel des OMT-Programms sei der Erhalt der Währungsunion mit all seinen Mitgliedern. Der selektive Ankauf von Staatsanleihen innerhalb des OMT-Programms verstoße gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Dieses Verbot hat der EuGH ihrer Auffassung nach jedoch sehr eng ausgelegt. Die Luxemburger Richter sahen keinen Verstoß, weil die EZB erklärt hat, eine Mindestfrist zwischen der Emission des Schuldtitels um dem Aufkauf einhalten zu wollen und Entscheidungen zu den Aufkäufen nicht vorher anzukündigen.
Die Folien zum Vortrag (PDF, 125 KB)
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