2024
09.07.2024
IMFS Policy Lecture mit Wolf H. Reuter, Bundesministerium der Finanzen
"Wachstumsinitiative: Neue wirtschaftliche Dynamik für Deutschland"
Höhere Zuschläge für die Forschung in Unternehmen, Änderungen beim Bürgergeld, steuerliche Begünstigungen für zugewanderte Fachkräfte – das sind nur einige der Maßnahmen, mit denen der Standort Deutschland wieder wettbewerbsfähiger werden soll. Wie diese Maßnahmen im Einzelnen aussehen sollen, erläuterte Dr. Wolf Heinrich Reuter, Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, bei einer IMFS Policy Lecture. Eine Wachstumsinitiative bestehend aus 49 Punkten hatte Finanzminister Christian Lindner wenige Tage zuvor gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck bei der Präsentation des Haushaltsentwurfs vorgestellt.
Die Ausgangssituation ist ernüchternd. Aufgrund des demographischen Wandels sei das Potenzialwachstum um einiges niedriger, als man es aus den Vorjahren kenne, fasste Reuter zusammen. „Aus einer Phase mit hohen Preissteigerungen kommend braucht es nun ein Signal, das die Aufwärtsbewegung unterstützt“, so Reuter weiter. Verbesserte Abschreibungsbedingungen und eine Ausweitung der Forschungszulage sollen Unternehmen bessere Rahmenbedingungen bieten, ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken und so einen Anreiz für Investitionen bieten. Private Investitionen machen etwa 90 Prozent der Gesamtinvestitionen aus, staatliche Investitionen seien nur ein kleinerer Teil. „Das wird gerne vergessen“, mahnte Reuter.
Immer wieder genannt bei den größten Hemmnissen für Investitionen oder bei der Ausweitung von Produktion werde die überbordende Bürokratie. Hier plane die Bundesregierung ein jährliches Bürokratieentlastungsgesetz und eine Vereinheitlichung der datenschutzrechtlichen Anforderungen auf EU-Ebene. Das umstrittene Gesetz zur Lieferkettensorgfaltspflicht solle pragmatisch umgesetzt werden.
Der größte Block der gesammelten Maßnahmen widmet sich dem Arbeitsmarkt. Hier soll generell Mehrarbeit steuerlich begünstigt werden. Bei älteren Arbeitnehmern, die über das Rentenalter hinaus einer Beschäftigung nachgehen, sei geplant, den Arbeitgeberbeitrag zur Arbeitslosen- und zur Rentenversicherung zu streichen und stattdessen auszuzahlen. Beim Bezug von Bürgergeld will die Bundesregierung zumutbare Pendelzeiten von angebotenen Arbeitsstellen ausweiten und setzt andererseits auf härtere Sanktionen. Für ausländische Fachkräfte soll die Arbeitsaufnahme steuerlich begünstigt werden, Geflüchtete sollen generell leichter eine Arbeit aufnehmen können. „An allen Stellschrauben, wo man das Arbeitsvolumen erhöhen kann, wollen wir ansetzen“, sagte Reuter.
Auch der Finanzstandort Deutschland solle mit der Initiative gestärkt werden. Wagniskapital werde in Deutschland deutlich weniger eingesetzt als in den USA. Das wolle man ändern, so Reuter. Den Bereich der privaten Altersvorsorge werde man attraktiver gestalten: Im Herbst soll ein Altersvorsorgedepot die staatlich geförderte Riester-Rente ersetzen. Als fünfter Bereich soll ein leistungsfähiger Energiemarkt zur Stärkung der Wirtschaft beitragen. Dazu werde die Senkung der Stromsteuer verstetigt. Im Zuge der Energiewende solle auf verschiedene Technologien gesetzt werden. Insgesamt solle die Initiative über Anreize wirken - es sei nicht die eine, große Reform geplant. Dabei schickte Reuter eine Mahnung direkt vorweg: „Wir werden bei den vielen Maßnahmen darauf achten müssen, dass sie entsprechend aufgesetzt werden und nicht wieder zu viel Bürokratie entsteht.“
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Higher allowances for research in companies, changes to the citizen's allowance, tax breaks for immigrant skilled workers - these are just some of the measures designed to make Germany more competitive again. Dr. Wolf Heinrich Reuter, State Secretary at the Federal Ministry of Finance, explained the details of these measures at an IMFS Policy Lecture at the House of Finance. A few days earlier, Finance Minister Christian Lindner had presented a growth initiative consisting of 49 points together with Federal Chancellor Olaf Scholz and the Minister for Economic Affairs, Robert Habeck, at the presentation of the draft budget.
The initial situation is sobering. Due to demographic change, potential growth is much lower than in previous years, summarized Reuter. "Coming out of a phase of high price increases, we now need a signal that supports the upward trend," he continued. Improved depreciation conditions and an extension of the research allowance should offer companies better framework conditions, strengthen their competitiveness and thus provide an incentive for investment. Private investment accounts for around 90 percent of total investment, while government investment is only a smaller part. "This is often forgotten," warned Reuter.
Excessive bureaucracy is repeatedly cited as one of the biggest obstacles to investment or the expansion of production. The German government is planning an annual law to reduce bureaucracy and standardize data protection requirements at EU level. The controversial law on supply chain due diligence is to be implemented pragmatically.
The largest block of measures is dedicated to the labor market. On the one hand, overtime is to be tax-privileged. For older employees who work beyond retirement age, it is planned to abolish the employer's contribution to unemployment and pension insurance and pay it out instead. The federal government is planning to extend reasonable commuting times from jobs on offer when receiving the citizen's allowance and, on the other hand, is relying on tougher sanctions. Foreign skilled workers are to receive tax breaks for taking up employment. Refugees should generally be able to take up work more easily. "We want to tackle all areas where the volume of work can be increased," said Reuter.
The initiative is also intended to strengthen Germany as a financial center. Venture capital is used much less in Germany than in the United States. According to Reuter, the aim is to change this. The area of private pension provision will be made more attractive: In the fall, a retirement savings account is to replace the state-subsidized Riester pension. The fifth area is an efficient energy market to help strengthen the economy. To this end, the reduction in electricity tax is to be made permanent. Various technologies are to be used as part of the energy transition. Overall, the initiative should work through incentives - there is no one big reform planned. Reuter sent a warning straight away: "We will have to make sure that the many measures are implemented appropriately and that too much bureaucracy is not created again."
25.03.2024
IMFS Policy Talk with Tobias Linzert, European Central Bank
"The New Operational Framework of the ECB"
Discussant: Jens Eisenschmidt, Morgan Stanley
20.02.2024
IMFS Policy Lecture mit Prof. Dr. Veronika Grimm
"Wachstumsschwäche überwinden - In die Zukunft investieren"
Die Lage der deutschen Wirtschaft stimmt nicht hoffnungsfroh. „Es ist davon auszugehen, dass wir in diesem Jahr eine Stagnation erleben“, sagte Prof. Veronika Grimm, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaften Entwicklung, bei der IMFS Policy Lecture am 20. Februar. Doch auch längerfristig drohe Deutschland eine Wachstumsschwäche. Wie sich diese überwinden lässt und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen, erläuterte Grimm in ihrem Vortrag.
Das Potenzialwachstum befindet sich auf historischem Tiefstand, wie die Ökonomin ausführte. Notwendig sei daher eine Steigerung der Arbeitsproduktivität. „Durch die demographische Entwicklung, nämlich den Renteneintritt der Babyboomer-Generationen, sinkt das Arbeitsvolumen deutlich, und das trägt negativ zur Entwicklung des Produktionspotenzials bei.“ Anzusetzen sei bei Investitionen und Innovationen. „Wenn die Investitionen auf dem gleichen Niveau bleiben, würden wir etwa 0,4 Prozent pro Jahr wachsen. Das ist natürlich wenig im Vergleich zu ungefähr dem dreifachen Wachstum, das wir in den 2010er-Jahren realisiert haben.“
Auch Migration könnte das Arbeitsvolumen stützen. Doch es sei unrealistisch, so stark auf Migration zu setzen, dass dies allein den Rückgang auffangen könnte. „Bei der Integration in den Arbeitsmarkt müssen wir besser werden“. Im Gutachten verweisen die Mitglieder des Sachverständigenrats auch darauf, die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu steigern. Denn Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit – egal, ob sie Kinder hätten oder nicht, so Grimm. Bessere Kinderbetreuung, eine Anpassung des Ehegattensplittings und größere Wertschätzung von in Vollzeit arbeitenden Müttern sind Grimm zufolge entscheidende Faktoren, um eine höhere Zahl von Arbeitsstunden für Frauen attraktiver zu machen.
Darüber hinaus befürwortet der Sachverständigenrat eine Grundsicherungsreform, die höhere Arbeitsanreize schafft und Transferentzugsraten verringert „Das System ist sehr schwer zu durchblicken“. Notwendig ist eine Reform auch bei der Alterssicherung. Aus Sicht des Sachverständigenrats wäre hier eine Anpassung des Renteneintrittsalters an die fernere Lebenserwartung angebracht, kombiniert mit der Anpassung des Nachhaltigkeitsfaktors und der Anpassung von Bestandsrenten an das Inflationsniveau statt an das Lohnniveau. Die Bestandsrenten steigen dann in normalen Zeiten nicht so stark wie die Löhne.
Dabei wendete sich Grimm gegen den Vorschlag des Sachverständigenrats, innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung umzuverteilen. Denn in der gesetzlichen Rentenversicherung seien längst nicht alle leistungsfähigen Personengruppen wie etwa Selbständige und Beamte integriert, gab Grimm zu bedenken.
Die stärkere Einbeziehung von Frauen sowie Zuwanderung reichen jedoch nicht aus, um Wachstumshemmnisse zu beseitigen. Investitionen sollten den Strukturwandel unterstützen. Dabei geschehe einiges von selbst. „Es werden immer mehr Unternehmen Arbeit durch Kapitalgüter ersetzen.“ Mikrodaten zeigen, dass Automatisierung besonders gut in der Automobilbranche, in der chemischen oder pharmazeutischen Industrie möglich sei. So würden Arbeitskräfte frei, um in anderen Branchen tätig zu sein. Hier sieht Grimm die Politik gefragt, um über entsprechende Weiterbildungen und Umschulungen neue Chancen für Arbeitnehmer zu schaffen. „Bisher gab es Weiterbildung eher innerhalb von Unternehmen.“
Hinsichtlich des technischen Fortschritts, der mit Investitionen einhergeht, sei es zudem wichtig, sich auf Bereiche zu konzentrieren, wo der Produktivitätsfortschritt höher sei, wenn investiert werde. Andererseits seien Wachstumspotenziale durch Phänomene wie Künstliche Intelligenz nur sehr schwer zu prognostizieren. Ein Blick zurück zeige, „dass die Digitalisierung gar nicht so viel Wachstum gebracht hat.“
Bei der grünen Transformation appellierte Grimm, globaler zu denken. Innerhalb der EU könne die zusätzliche Erzeugung von Wasserstoff den Strompreis sonst in die Höhe treiben. „Es gibt weltweit viel mehr Staaten, die zu günstigen Konditionen Wasserstoff produzieren und uns dann Derivate verkaufen können, als Staaten, die fossile Energieträger verkaufen.“ Diesen Wettbewerb sollte sich die deutsche Wirtschaft gemeinsam mit den europäischen Partnern zunutze machen, wenn es darum geht, energieintensive Vorprodukte zu ersetzen.
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The state of the German economy does not inspire hope. "It can be assumed that we will experience stagnation this year," said Prof. Veronika Grimm, member of the German Council of Economic Experts, at the IMFS Policy Lecture on February 20. However, there is also a threat of weak growth in Germany in the longer term. In her lecture, Grimm explained how this can be overcome and which factors play a role in this.
Potential growth is at a historic low, as Grimm explained. An increase in labor productivity is therefore necessary. "Demographic trends, namely the retirement of the baby boomer generations, are causing a significant drop in the volume of work, which is having a negative impact on the development of production potential." Investment and innovation are the starting points. "If nothing happens in terms of investment, we would grow by around 0.4 percent per year. That is of course little compared to the roughly threefold growth we achieved in the 2010s."
Migration could also support the volume of work. However, it is unrealistic to rely so heavily on migration that this alone could offset the decline."We need to improve integration into the labor market".In the report, the members of the Expert Council therefore also refer to increasing the participation of women in the workforce. This is because women are more likely to work part-time - regardless of whether they have children or not, according to Grimm. In her view, better childcare, an adjustment to the splitting income taxation for spouses and greater appreciation of mothers working full-time are decisive factors in making a higher number of working hours more attractive.
In addition, the Council of Experts advocates a reform of the basic income support system that creates greater incentives to work and reduces transfer withdrawal rates "The system is very difficult to understand". A reform is also necessary for old-age provision. According to the annual report of the German Council of Economic Experts, it would be appropriate to adjust the retirement age to reflect longer life expectancy, combined with the adjustment of the sustainability factor and the adjustment of existing pensions to the inflation level instead of the wage level. In normal times, existing pensions would then not rise as much as wages. However, Grimm opposed the Expert Council's proposal to redistribute within the statutory pension insurance scheme. As she pointed out, not all capable groups of people, such as the self-employed and civil servants, are integrated into the statutory pension insurance scheme.
Nevertheless, greater inclusion of women and immigration are not enough to remove obstacles to growth. Investments should support structural change.Some of this would happen by itself. "More and more companies will replace labor with capital goods." Microdata shows that automation is particularly well suited to the automotive, chemical and pharmaceutical industries. This would free up workers to work in other sectors.This is where Grimm sees a need for politicians to create new opportunities for employees through appropriate further training and retraining."Up to now, further training has tended to take place within companies."
With regard to technical progress, which goes hand in hand with investments, it is also important to focus on areas where productivity progress is higher when investments are made.On the other hand, it is very difficult to predict the growth potential of phenomena such as artificial intelligence. A look back shows "that digitalization has not brought that much growth."
Furthermore, Grimm called for a more global approach to the green transformation.Within the EU, the additional production of hydrogen could otherwise drive up the price of electricity. "There are many more countries around the world that can produce hydrogen at favorable conditions and then sell us derivatives than countries that sell fossil fuels." The German economy should take advantage of this competition together with its European partners on its way to the goal of replacing energy-intensive primary products.