Volker Wieland über EZB-Staatsanleihekäufe und den Mindestlohn ("Aalener Nachrichten")

Im Interview mit der "Ipf-und-Jagst-Zeitung"/"Aalener Nachrichten" erklärt Prof. Volker Wieland, warum die Staatsanleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht notwendig sind und welche unerwünschten Nebenwirkungen Mindestlohn und Mietpreisbremse haben.

Das Gespräch führte Bernhard Hampp, "Ipf-und-Jagst-Zeitung"/"Aalener Nachrichten".

Sparen gilt als schwäbische Tugend. Zurzeit sieht es so aus, dass sich Sparen wegen der niedrigen Zinsen nicht wirklich lohnt.

Es ist viel die Rede davon, wie viel Zinsen den Sparern aktuell entgehen. Aber kein Sparer wird zu einer bestimmten Anlage gezwungen. Festverzinsliches wirft derzeit keinen großen Gewinn ab, Aktien und Immobilien sind jedoch deutlich gestiegen. Der richtige Mix hängt davon ab, mit welchem Ziel und für wie lange gespart werden soll.

Aber die Unternehmen halten sich mit Investitionen zurück.

In Deutschland haben Unternehmen Schulden reduziert und Eigenkapital aufgebaut. Das war auch eine Reaktion auf die Finanzkrise, in der sie von den Banken keine Kredite bekommen haben. Gleichzeitig investieren deutsche Unternehmen stark im Ausland. Das kritisieren manche, weil damit Arbeitsplätze ins Ausland gehen könnten. Aber internationale Produktionsketten sichern wiederum auch Arbeitsplätze in Deutschland. Zudem ist es sinnvoll, wenn Kapital dorthin fließt, wo es Erträge erwirtschaftet.

Die EZB hält den Leitzins historisch niedrig und kauft monatlich für 60 Milliarden Euro Staatsanleihen und Wertpapiere – der richtige Weg?

Die EZB rechtfertigt ihre Maßnahmen mit dem Ziel der Preisstabilität. Die Inflation, die derzeit nahe Null liegt, soll auf zwei Prozent steigen. Dazu werden die Banken mit Liquidität versorgt. Im Moment sehen wir vor allem, dass der Staat günstiger an Geld kommt. Das gilt besonders für Deutschland, aber auch für die meisten anderen Mitgliedsstaaten. Ich denke schon, dass jetzt auch die Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte in die Gänge kommt. Gleichzeitig führt dieses Programm zu einem sinkenden Euro-Kurs, aber auch dazu, dass Unternehmen Geld im Ausland anlegen. Meines Erachtens hätten jedoch die letztes Jahr getroffenen Maßnahmen bereits mehr als ausgereicht. Die Staatsanleihekäufe halte ich nicht für notwendig. Zudem besteht das Risiko, dass die Notenbank zwar kurzfristig die Nachfrage stimuliert, der Schritt aber Länder wie Italien dazu verleitet, notwendige Strukturreformen aufzuschieben. Außerdem steigen Vermögenspreise jetzt stark – etwa für Aktien und für Immobilien in einigen Städten: hier besteht die Gefahr von Übertreibungen.

Weiß die EZB um diese Risiken?

Ja, sie glaubt aber, dass andererseits das Risiko der Deflation größer ist. Im Sachverständigenrat sind wir anderer Ansicht.

Spielen politische Erwägungen bei diesen Entscheidungen zu sehr hinein?

Grundsätzlich ist nichts falsch daran, der Wirtschaft auf die Beine zu helfen. Wäre dies die einzige Aufgabe der Notenbanken, müssten sie nicht politisch unabhängig sein. Weil jedoch Regierungen dazu neigen, die Geldpolitik zu missbrauchen, um ihre Kassen zu füllen, hat man unabhängige Institutionen geschaffen. In der Krise hat die EZB eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die über das primäre Mandat Preisstabilität hinausgehen. Sie versprach zum Beispiel, gezielt Staatsanleihen einzelner Länder aufzukaufen, wenn deren Finanzierungskosten zu sehr steigen. Es hieß, sie müsse damit den Euro retten. Zunächst ist aber der Euro das Projekt der Regierungen, nicht der EZB.

Ist das noch durch ihr Mandat gedeckt?

Das ist die Frage, die das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof gerade klären. Mit den europäischen Verträgen haben die gewählten Regierungen eine sehr mächtige und unabhängige Notenbank geschaffen. Nun drängen einzelne Staaten wie Griechenland auf Geld von der EZB, um ihre Probleme zu lösen. Wir dürfen solche Entscheidungen aber nicht den Beamten der Notenbank aufladen. Die EZB muss sich eng an die Regeln ihres Mandats halten. Ein konkretes Beispiel: sie darf nicht zulassen, dass griechische Banken, die dazu noch von der griechischen Regierung kontrolliert werden, die Notfallliquidität von der Notenbank dazu nutzen, Staatspapiere zu kaufen, die sonst niemand haben will.

Sie sind ein Gegner des Mindestlohns. Warum?

Der flächendeckende Mindestlohn hebelt wie die Mietpreisbremse den Markt aus und hat unerwünschte Nebeneffekte: Zum Beispiel finden Menschen in einigen Regionen jetzt schwerer Arbeit als früher. Dabei wäre der Mindestlohn gar nicht nötig gewesen, denn die Ungleichheit in Deutschland geht ohnehin eher zurück. Es wäre sinnvoller gewesen, einen Mindestlohn regional und nach Tätigkeiten zu differenzieren und seine Auswirkungen ständig zu kontrollieren.

Aber Deutschland hat den Mindestlohn und erlebt dennoch einen Beschäftigungsrekord.

Die hohe Beschäftigung ist auf vergangene marktorientierte Reformen und die hohe Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen zurückzuführen. Sie bedeutet nicht, dass der Mindestlohn keine negativen Auswirkungen hat. Es gibt Gegenden, wo Menschen mit niedrigerem Ausbildungsstand, die keine Beschäftigung haben, nun noch schwerer Arbeit finden. Es gibt viel Zuwanderung in Beschäftigung. Diese fiele ohne den Mindestlohn vermutlich noch höher aus.

Steht uns eine Inflation bevor?

Vermögenspreise – wie derzeit Aktien und Immobilienpreise – können rasch steigen, während die Güterpreise normalerweise nicht von heute auf morgen schnell zunehmen. Die Erwartung ist, dass die Preise im Zuge der EZB-Geldpolitik langsam anziehen und die Inflation im Lauf der kommenden zwei Jahre wieder auf zwei Prozent steigt. Das kann schneller passieren, wenn der Euro stark abwertet, wenn die Wachstumsaussichten sich deutlich verbessern oder die Rohstoffpreise wieder schnell steigen.

Der deutsche Export profitiert vom schwachen Euro.

Die deutsche Wirtschaft bräuchte diesen Wechselkurs, der großteils aus der lockeren Geldpolitik herrührt, so nicht. Die deutsche Wirtschaft wächst ziemlich nahe am Potenzial. Wäre Deutschland nicht Teil der Eurozone, wären die Zinsen angesichts der konjunkturellen Lage deutlich höher und unsere Währung würde aufwerten, wie wir das gerade in der Schweiz beobachten konnten. Die Exportwirtschaft profitiert jetzt von der Euro-Abwertung. Die Wirkung ist jedoch temporär. Man kann nur hoffen, dass sich die Unternehmen so aufstellen, dass sie ihre Wettbewerbsvorteile nicht verlieren. Seine Wettbewerbsfähigkeit verbessert man nachhaltiger, wenn man produktiver wird.

Andere Staaten empfehlen Deutschland, den Exportüberschuss abzubauen.

Ja, da wird empfohlen, der Staat solle mehr Geld ausgeben. Die deutsche Wirtschaft ist jedoch gut ausgelastet. Ein Konjunkturprogramm wäre da ein Fehler. Es würde nur zu höheren Schulden führen, die letztendlich mit höheren Steuern bedient werden müssten.

(Quelle: "Ipf-und-Jagst-Zeitung"/"Aalener Nachrichten", 14.04.2015)

(s. auch: "Schwaebische.de: "Italien ist entscheidender als Griechenland", 17.04.2015)